Auf großer Fahrt: Wir testen den Mercedes AMG GT in der Sierra Nevada

Was der neue Mercedes AMG GT alles drauf hat? Fand unser Autor bei einer Testfahrt in der Sierra Nevada heraus
Credit: Deniz Calagan
Was der neue Mercedes AMG GT alles drauf hat? Fand unser Autor bei einer Testfahrt in der Sierra Nevada heraus
Credit: Deniz Calagan

Mit der zweiten Generation verändert Mercedes-AMG den Grundcharakter des GT vom Performance-Rennwagen zum alltagstauglichen Gran Turismo. Was das genau bedeutet, haben wir auf den kurvigen Bergstraßen der Sierra Nevada getestet.

Von: Michael Brunnbauer
21.04.25
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Es ist bestimmt über vier Jahre her, dass ich zuletzt in einem Mercedes-AMG GT saß. Die Stuttgarter hatten im Herbst 2020 zum krönenden Abschluss der GT-Serie (bekannt als Baureihe C 190) eine Black-Series-Variante des Fahrzeugs he­rausgebracht. Als ich zusammen mit dem fünffachen DTM-Champion Bernd Schneider die 730-PS-Rakete über den Lausitzring jagte, einigten wir uns darauf, dass wir hier gerade das beste Straßenauto fuhren, das Mercedes jemals für die Rennstrecke gebaut hat.

Ende 2021 lief die Serie dann aus, und erst nach über zwei Jahren Pause folgte im Herbst 2023 mit der Baureihe C 192 die nächste Generation, zunächst mit einem klassischen V8-Motor. Letztes Jahr wurde die Serie noch um einige Derivate wie beispielsweise einen Vierzylinder oder einen Hybrid erweitert. Doch kann die zweite Generation mit der fantastischen Performance ihres Vorgängers mithalten?

Testfahrt im neuen Mercedes AMG GT: Bodenschwellen sind kein Problem

Die schlechte Nachricht zuerst: Der Nachfolger des legendären Mercedes-AMG GT ist nicht nur länger, höher und breiter geworden als das Original, sondern mit 1970 Kilo auch rund 300 Kilo schwerer. Die gute: Für das zusätzliche Gewicht gibt es einen Allradantrieb, eine Hinterradlenkung, diverse neue Fahrdynamikhilfen, zwei zusätzliche (Not-)Sitzplätze und jede Menge Komfort. Damit wird der Wagen im Grunde zum ersten Mal seinem Namen gerecht, denn das Kürzel GT steht für Gran Turismo, also ein Fahrzeug, mit dem man, wörtlich übersetzt, auf große Fahrt gehen kann. 

Und genau das machen wir auch: Von der spanischen Stadt Granada aus wollen wir den Wagen über Bergstraßen und durch zahlreiche Serpentinen in die Sierra Nevada, das höchste Gebirge Spaniens, auf über 2500 Höhenmeter bewegen. Das dürfte dank neuem Allrad eigentlich kein Problem sein. Außerdem lässt sich die Front dank verschiedener semiaktiver hydraulischer Elemente um 30 Millimeter nach oben fahren – angesichts der vielen Brems- und Bodenschwellen auf spanischen Straßen eine extrem praktische Vorrichtung.

Bergfahrt: Besonders viel Spaß bereitete unserem Autor die anspruchsvolle Fahrt im Allrad-GT durch die zahlreichen Serpentinen und Steilkehren des spanischen Sierra- Nevada-Gebirges
Credit: Deniz Calagan

Der neue Mercedes AMG GT im Test: Ungewöhnlich viel Stauraum

Als ich an der Plaza del Carmen, direkt vor dem Rathaus, den Wagen zum ersten Mal sehe, wirkt er auf mich trotz seiner Größe (mit 4728 Millimetern ist er 18 Zentimeter länger als sein Vorgänger, außerdem sieben Zentimeter höher und 4,5 Zentimeter breiter) erstaunlicherweise relativ klein und kompakt. 

Das mag zum einen daran liegen, dass der neue GT eine kürzere Motorhaube hat, schließlich brauchte man den Platz für zusätzliche Systeme und einen größeren Innenraum, zum anderen aber auch daran, dass der ausfahrbare Spoiler hinten deutlich kompakter wirkt als der fest verbaute Flügel, den ich vom GT R oder dem Black-Series-Modell in Erinnerung habe. Wobei man nicht vergessen darf, dass die einfache Variante des alten GT gar keinen Spoiler hatte.

Schwergewicht: Der neue GT bietet neben Allradantrieb und -lenkung deutlich mehr Komfort und Platz im Innenraum – wiegt dafür aber auch rund 300 Kilo mehr als sein Vorgängermodell
Credit: Deniz Calagan

Aber auch der extrabreite Kühlergrill mit den vertikalen Streben, die schmalen Scheinwerfer vorne und der nach wie vor sehr lange Radstand mit den kurzen Überhängen unterstreichen die optische Dynamik des Sportcoupés. Im Inneren wirkt der Wagen Mercedes-typisch sehr luxuriös – vor allem Leder, Sichtcarbon und die opulent gestalteten Lautsprecher des 1170 Watt starken Burmester-Soundsystems dominieren die Optik. 

Doch als Erstes fallen einem beim Einsteigen die neuen (optionalen) Rücksitze auf. Diese sind im Stil eines klassischen 2+2-Coupés zwar nur für Kinder (bis maximal 1,50 Meter Größe) gedacht, können aber umgeklappt werden und bieten dann ein für Sportwagen ungewöhnlich großes Kofferraumvolumen von bis zu 675 Litern. Das soll wohl den neuen Anspruch des GT unterstreichen, mehr Gran Tourer und weniger Rennwagen zu sein.

Spoileralarm: Mit einem beweg­lichen Heckflügel, der fünf unterschiedliche Positionen einnehmen kann, lässt sich beim Mercedes-AMG GT die Aerodynamik des Fahrzeugs aktiv steuern
Credit: Deniz Calagan

Zumindest fühlt es sich für mich so an – bis zu dem Punkt, an dem ich die 4-Liter-Maschine zum Leben erwecke und der Achtzylinder unter der Motorhaube lautstark loswummert. Schlagartig spüre ich die rohe Gewalt und die Rennwagen-DNA des Motors, den ich gerade entfesselt habe. Ich muss mich stark zusammenreißen, nicht schon innerhalb der Stadtgrenze die volle Durchschlagskraft der 585 Pferdestärken auszuprobieren.

Unterwegs im Mercedes AMG GT: Von Null auf Hundert in drei Sekunden

Nach einer halben Stunde erreiche ich die östlich der Stadt gelegene Canales-Talsperre. Auf einem wenig befahrenen Abschnitt halte ich kurz an, schalte mit dem Drehknopf am Lenkrad von „Comfort“ über „Sport“ in den „Sport+“-Modus (insgesamt stehen sechs Fahrprogramme zur Auswahl). Mit dem linken Fuß drücke ich die Bremse voll durch, mit dem rechten steige ich aufs Gaspedal, und auf dem Display vor mir erscheint der Begriff „Race Start“. 

Der Motor heult voller Erwartung auf, und erst als er schon leicht zu stottern anfängt, löse ich das Bremspedal. Der Wagen macht einen Satz nach vorne, und ich erreiche in gerade mal 3,2 Sekunden die 100 km/h. Bis zu 315 km/h wären möglich, aber natürlich muss ich mich auf einer spanischen Landstraße zügeln.

Der neue Mercedes AMG GT: Mit Allradantrieb ins höchste Gebirge Spaniens

Was sich hingegen sehr gut testen lässt auf den engen Serpentinen auf meinem Weg in die Sierra Nevada, ist der neue Allradantrieb. Anders als bei der Transaxle-Bauweise des Vorgängers liegt das AMG-Speedshift-9G-Getriebe vorne direkt am Motor, während eine elektromechanische Kupplung die ständig angetriebene Hinterachse mit der Vorderachse verbindet. 

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Je nach Bedarf berechnet der Wagen im Hintergrund die bestmögliche Drehmomentverteilung, von einem klassischen 50:50-Split bis zum reinen Antrieb auf der Hinterachse. Das fühlt sich tatsächlich sehr intuitiv an, und gerade in Kombination mit der neu verbauten Hinterachslenkung lassen sich damit die engen Steilkehren auf circa 2000 Höhenmetern kurz vor dem Eingang zum Nationalpark der Sierra Nevada extrem gut bewältigen.

Als plötzlich eine Herde Schafe vor mir auf der Fahrbahn steht, steige ich voll in die Eisen und bringe den Wagen ganz knapp vor dem Straßenrand zum Stillstand

Doch alle diese elektronischen Helferlein im Hintergrund ändern nichts an der zugrunde liegenden Physik, der sich jedes Fahrzeug beugen muss: Als plötzlich eine Herde Schafe vor mir auf der Fahrbahn steht, steige ich voll in die Eisen und bringe den Wagen ganz knapp vor dem Straßenrand zum Stillstand. Die insgesamt knapp zwei Tonnen Gewicht des Wagens kann eben keine Software der Welt wegrechnen.

Unter Schafen: Dank Keramikbremsen und zahlreicher Stabilitätssysteme wird es im neuen GT auch dann nicht brenzlig, wenn plötzlich Hindernisse wie eine Herde Schafe auftauchen
Credit: Andre Tillmann

Ein paar Kilometer weiter erreiche ich schließlich mein vorläufiges Ziel: die im Herbst verlassene Skistation Pradollano und das Ende der Gebirgsstraße an einem kleinen Platz namens Hoya de la Mora auf 2510 Meter Höhe. Rein theoretisch ginge es hier noch weiter zum legendären Mojón del Trigo, einem alten, verlassenen Observatorium in einem knallroten Gebäude, doch die Straße ist mit dem Hinweis auf militärisches Sperrgebiet leider geschlossen.

Testfahrt im Mercedes AMG GT: Donuts drehen dank Heckantrieb

Ich nutze stattdessen den verwaisten Parkplatz des Geländes, um eine andere Spezialität des neuen GT zu testen: Wer will, kann den Wagen nämlich im sogenannten Drift-Modus auch zu permanentem Heckantrieb zwingen. Dafür muss man zunächst in den „Race“-Modus wechseln, das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) aus- und die manuelle Getriebefunktion einschalten. Dann hält man beide Paddles am Lenkrad gedrückt und wird am Bildschirm gefragt, ob man in den „Drift Mode“ schalten will, was man mit einem weiteren Betätigen des rechten Paddles am Lenkrad bestätigt.

Das klingt, zugegeben, ein bisschen kompliziert und fühlt sich beim ersten Mal so an, als würde man bei einer PlayStation über eine geheime Tastenkombination den Super-Special-Modus freischalten. Aber ich kann nur sagen: Es lohnt sich! Die 800 Newtonmeter Drehmoment auf der Hinterachse in Kombination mit dem lockeren Schotterboden des Parkplatzes zaubern mir – 300 Kilo Zusatzgewicht hin oder her – ein breites Grinsen ins Gesicht. Nachdem ich einige Donuts gedreht habe, schalte ich den Allradantrieb wieder ein und begebe mich auf den Rückweg nach Granada.

Testfahrt im Mercedes AMG GT: Performance trifft Komfort

Entgegen meiner anfänglichen Skepsis muss ich gestehen: Der neue GT von Mercedes ist ein fantastischer Sportwagen und macht seinem Namen als Gran Turismo – wahrscheinlich zum ersten Mal in seiner Geschichte – alle Ehre. Wie kein anderes Fahrzeug seiner Klasse kombiniert er Komfort mit Performance und deckt damit sämtliche Anforderungen ab: vom entspannten Cruiser über das Reisemobil bis hin zum aggressiven Landstraßenjäger. Nur jemand, dem es um Rekorde auf der Rennstrecke geht, dürfte vom zusätzlichen Gewicht des Fahrzeugs abgeschreckt sein.

Der Mercedes AMG GT macht seinem Namen als Gran Turismo alle Ehre, findet unser Autor
Credit: Andre Tillmann

Wer es übrigens noch einen Tick extremer mag, der kann seit Kurzem auch zum GT 63 S E Performance von Mercedes-AMG greifen. Diese Hybrid-Variante des Fahrzeugs schafft mit einer Systemleistung von 816 PS und irrwitzigen 1420 Newtonmeter Drehmoment die Beschleunigung auf 100 km/h in satten 2,8 Sekunden. Wiegt aber leider noch einmal über 200 Kilo mehr.

Mercedes AMG GT 63 4matic+

Geschwindigkeit: 315 km/h
Leistung: 585 PS
Drehmoment: 800 NM
0–100 km/h: 3,2 sekunden
Hubraum: 3982 ccM
Gewicht (EU): 1970 kg
Preis: 188.704 Euro

Der Autor testete den Wagen auf Einladung des Herstellers.

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