Playboy 2021/04
Magazin

Inhalt

UPDATE

First Lady: Actionheldin und Sexsymbol Megan Fox

Ein guter Monat für: Porsche- und Comedy-Fans

20 Fragen an . . . Filmstar Viggo Mortensen

Männerbar: Die besten Whiskys aus aller Welt

Wein des Monats: Weißer Merlot aus Italien

Männerküche: Japanisches Streetfood

Reise: Tipps für einen Trip nach Tokio

Die Reise meines Lebens: Autor Stephan Orth entdeckt die verboten schönen Seiten Irans

Stil: Lässige Rucksäcke für die Stadt

Motor: Cupra Leon E-Hybrid – Stromer auf spanisch

Pro & Contra: Einen Hund haben


PORTRÄT & REPORTAGE

Lothar Matthäus: Zum 60. des Weltfußballers erzählt ein Wegbegleiter aus dem „Loddar“-Leben

Der Alte-Meister-Detektiv: Wie der Niederländer Arthur Brand geraubte Kunstwerke aufspürt und sich auch in der Unterwelt einen Namen machte


INTERVIEW

Michael Bully Herbig: Der Komik-Meister über Witze früher und heute, verbotene Lachanfälle, lustige Frauen und seine neue Show „Last One Laughing“

Sebastian Vettel: Der vierfache Weltmeister will seinen nächsten Titel mit Aston Martin holen – und hat eine grüne Warnbotschaft an die Formel 1


STREITSCHRIFT

Einfach mal hinschmeißen: Eine Abrechnung mit der dämlichen Männertugend des Durchhaltens


MOTOR & TECHNIK

BMW iX3: Hat sich das Warten auf den zweiten Elektro-Bayern gelohnt? Eine Testfahrt durch München

Mein Schlitten: Sven Volk und sein Pontiac Firebird


EROTIK

Playmate: Unsere Miss April Margarita Gajewska erkundet gern fremde Länder. Und wir sie

Blende Sechs: Anna Ioannova legt ab – mit und auf einer Yacht vor der Küste Portugals


TITELSTRECKE

Die „Let’s Dance“-Schönheit Renata Lusin zeigt uns eine Kür – viel zu scharf fürs RTL-Freitagabend-Publikum ...


STIL

Mode: Coole Jacken für wärmere Tage

Uhren-Gespräch: Der Zenith-Chef Julien Tornare über Krisenzeitmesser und Sportchronographen

Pflege: Körperhaare und wie man sie loswird

Umfrage des Monats: Wie und wo sich deutsche Männer rasieren – und wie Frauen es gern mögen

Duft-Gespräch: Kino-Bösewicht Ed Skrein über den modernen und wohlriechenden Bad Boy


LUST & LEBENSART

Weg mit dem Corona-Speck: Drei Playboy-Redakteure testen drei Wege zu mehr Fitness

Escort-Lady Irina: Eine Sexarbeiterin im Gespräch über die Rotlicht-Krise und falschen Feminismus

Tagebuch einer Verführerin: Sexkolumnistin Sophie Andresky über Penisse und deren Längen


KULTUR

Sven Regener: Der Musiker und Schriftsteller findet Nachruhm nicht so wichtig und Inspiration auf einer Beerdigung

Literatur, Musik & Serien: Das Beste des Monats


STANDARDS
  • Editorial
  • Making-of
  • Leserbriefe
  • Berater
  • Witze
  • Cartoon
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  • Bezugsquellen
  • Playboy Classic
Mi., 17.03.2021
Porträts

Lothar Matthäus: Der Volltreffer

Als Rekordspieler ließ LOTHAR MATTHÄUS kaum eine Chance liegen. Als Lebemann auch nicht. Erst bejubelt, später belächelt, scheint er mit 60 Jahren nun angekommen zu sein: bei sich und beim Fernsehpublikum, das ihn als Fußball-Experten zu schätzen gelernt hat. Unser Autor, seit Jahrzehnten sein enger Begleiter, gratuliert dem Weltfußballer zum Geburtstag mit ganz persönlichen Erinnerungen.

Text: Raimund Hinko

Gut sieht er aus, wenn er federnden Schrittes vor den Spiegel tritt. Wenn er prüft, ob sich das erste graue Haar zeigt. „Ich würde dazu stehen“, sagt Lothar Matthäus. Im Gegensatz zu seinem Freund und Mentor Franz Beckenbauer. „Der Franz, das kann ich ja sagen, hat die Haare früher gefärbt“, fährt er mit einem Lächeln fort. „Doch bei mir sehe ich mit den Genen, die in mir schlummern, volles und dunkles Haar.“ Er wirkt amüsiert, als er das sagt, und gelassen. So, wie er in diesen Tagen, in denen er auf seinen 60. Geburtstag zusteuert, überhaupt sehr gelassen wirkt. Die Hektik, mit der er über 50 Jahre lebte, scheint er abgeschüttelt zu haben. 

Von seiner Dachterrasse in Budapest aus hat Matthäus einen herrlichen Blick auf die Stadt: Fischerbastei, Matthiaskirche, die pittoreske Kettenbrücke, all die Wahrzeichen, derentwegen jährlich zehn Millionen Touristen die ungarische Hauptstadt überschwemmen. Unten auf der Margareteninsel in der Donau geht er fünf-, sechsmal pro Woche laufen, oben auf der Terrasse absolviert er seine Gymnastikübungen, spult akkurat sein Programm runter. Bauch, Beine, Po. Da muss auch mit 60 alles sitzen. Das ist ihm wichtig. „Der liebe Gott hat mir das Glück geschenkt, dass ich alles ohne Schmerzen machen kann“, sagt er. „Es gibt andere 60-Jährige, die können sich kaum mehr bewegen.“

Seit 17 Jahren lebt Matthäus in Budapest, nachdem er über Jahrzehnte hinweg in hektischer Aktivität die Städte, Stadien und Fußballplätze dieser Welt bereist hat und sich dabei als Rekordnationalspieler, Trainer, fünffacher Ehemann und Stammgast in den Sport- und Klatschnachrichten fast aufrieb. Ein Leben auf der Überholspur, bei dem er manchmal auch alt aussah. Bis er während seiner Zeit als ungarischer Nationaltrainer, von Anfang 2004 bis Ende 2005, Budapest lieben lernte. Die große Chance für ihn, raus aus den Schlagzeilen zu kommen, endlich ernst genommen zu werden. 

Seit 2014 ist Matthäus in fünfter Ehe mit der Russin Anastasia Klimko verheiratet
Credit: dpa

Dass Matthäus mittlerweile seit sechs Jahren mit der 27 Jahre jüngeren Russin Anastasia Klimko verheiratet ist? Interessiert in Budapest wenige. Selten zeigen sich die beiden auf Glamour-Partys. „Das hier ist ein Staat und eine Stadt, wo ich mich wohlfühle, wo ich ich sein kann, wo man mich das auch sein lässt“, sagt er. Fernab von Paparazzi und People-Presse, von Menschen, die ihn angaffen oder ihr Handy positionieren. „Ich kann hier leben wie 99,9 Prozent der Deutschen. Niemand schaut, ob ich jetzt zwei oder drei Bier trinke. Ich bin glücklich hier – und mein Sohn hält mich jung.“ 

Milan ist mittlerweile sechs, besuchte in Budapest einen deutschen Kindergarten, begleitet ihn manchmal sogar, wenn Matthäus ein- bis zweimal pro Woche nach München fliegt, um bei Sky die Bundesliga oder Champions League zu kommentieren. Seit 2012 tritt er als Experte beim Pay-TV-Sender auf. Kenntnisreich, souverän, stets gut vorbereitet. Mittlerweile gilt er als meistzitierter Deutscher in Fußballfragen – aus den Klatschspalten hingegen ist er größtenteils verschwunden. 

„Er ist mit Abstand der beste Experte im deutschen Fußball. Er bringt es so auf den Punkt, dass es jeder versteht“, sagt Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge über ihn. Und Uli Hoeneß lobt: „Er hat sich unglaublich zu seinem Vorteil entwickelt. Und er hat eine klare Meinung, das gefällt mir. “ 

Schon vor einiger Zeit hat Hoeneß, früher einer der schärfsten Matthäus-Kritiker („Lothar bekommt bei uns nie einen Job, nicht mal als Greenkeeper“), sich darum gekümmert, Matthäus als Markenbotschafter in die Bayern-Familie zurückzuholen, ihn als Werbelokomotive unter anderem nach Peking und Taiyuan zu entsenden. Auch als Botschafter der deutschen Fußball-Liga (DFL) ist Matthäus heute unterwegs, zudem für Sponsoren. Er mag dieses Leben, er liebt das Reisen. Ein Rentnerleben, das sich mit dem schönen Blick auf die Stadt begnügt, wäre ihm zu langweilig – das Leben auf der Überholspur jedoch ist auch vorbei. „Ohne den Stress als Fußballer oder Trainer geht es mir besser“, sagt er. „Ich glaube, es geht mir so gut wie niemals zuvor.“ Vielleicht musste Lothar Matthäus erst das Tempo rausnehmen, um anzukommen. 

In seinem früheren, seinem Vollgas-Leben war das undenkbar. Immer schnell, schnell musste alles gehen. Ich, der Autor dieses Artikels, hatte über Jahre hinweg am Rande unserer Gespräche für die „Sport Bild“ Diskussionen mit Matthäus über die Frage, wie schnell man mit dem Auto die 490 Kilometer von Mailand nach München fahren könne. Er, der von 1988 bis 1991 bei Inter spielte, fuhr oft mal schnell nach München, und sei es nur für eine Nacht. Zunächst sprach er von drei Stunden. Doch seine Zeiten wurden immer kürzer. Er war mit einer Abkürzung an der Südspitze des Gardasees schon bei zwei Stunden und 45 Minuten, was ich natürlich nie glaubte, bis Folgendes passierte: Auf dem Weg vom Inter-Training zu einem Interview in seinem Haus nahe dem Comer See war ich ihm als Beifahrer ausgeliefert. 

Während seiner Mailänder Zeit drückt Matthäus (hier 1989) nicht nur auf dem Platz aufs Gas, sondern auch bei seinen spontanen München-Trips mit dem Auto
Credit: 100 Pro Imago Sport

In einem kleinen, irre schnellen Peugeot 205 Turbo. Vor uns ein Lastwagen, ein Laternenpfahl – und eine kleine Lücke. „Wetten, dass wir da durchkommen“, sagte Matthäus und drückte voll durch. Als er mit dem Flitzer zielsicher die Lücke traf, tat es einen Knall – ich schrie auf, Matthäus lachte. Der Seitenspiegel war weggeflogen. 

Ich lachte erst wieder, als ich die Meldung las: „Peugeot von Matthäus geklaut. Innerhalb von 24 Stunden haben die Diebe damit eine Bank überfallen und ein Drogengeschäft abgewickelt. Anschließend wurde das Auto wieder bei Matthäus abgestellt. Ohne Reifen, ohne Lautsprecher, ohne Radio.“ Mir verging das Lachen jedoch, als mir Lothar wenig später sein neues Auto vorstellte, einen knallroten Peugeot 205 Turbo. Sein damaliger Manager Norbert Pflippen aus Mönchengladbach hatte die im Dutzend vorrätig.

Wenn wir Interviews in Autos machten, redete Matthäus mit zunehmender Geschwindigkeit immer schneller. Dann war er nicht gut. Wenn wir Interviews im Vereinsheim von Inter Mailand machten, ging Trainer Giovanni Trapattoni dazwischen: „Lothar, du musst Mittagsschlaf machen. Ab ins Bett.“ Also zog ich sein Wohnzimmer vor und nahm in Kauf, dass er, der gelernte Raumausstatter, während unseres Gesprächs mit dem Handstaubsauger hantierte, um jedes noch so kleine Krümelchen zu entfernen. Sogar Interviews an meinem Schreibtisch waren sinnvoll, weil Matthäus meine Zettel und Ordner verschob, bis alles im rechten Winkel zueinander stand. Ordentlich eben.

Reporter-Legende Raimund Hinko, 70, pflegt seit Jahrzehnten ein enges Verhältnis zu Lothar Matthäus. Bei ihren vielen Treffen wie hier 1989 am Comer See gab der ihm auch schon den einen oder anderen Ratschlag, darunter: „Raimund, du arbeitest zu viel“
Credit: Raimund Hinko

Diese Ordnung wollte er auch auf dem Spielfeld haben. Wie im ersten Spiel der WM 1990 im Mailänder San-Siro-Stadion gegen Jugoslawien. Matthäus ging sofort auf die Überholspur, schoss mit seinem kaum schwächeren, von Trapattoni geschulten linken Fuß das 1 : 0. Als es nach dem Anschlusstreffer der Jugoslawen eng zu werden schien, ging wieder der Ordnungssinn mit ihm durch, er dribbelte 70 Meter, schoss mit rechts das 3 : 1 (Endstand 4 : 1), später zum Tor des Jahres gekürt. Am Ende war Deutschland Weltmeister. Und Matthäus wurde zum Weltfußballer des Jahres gewählt. 1990 war sein größtes Jahr.

Schon in Kinderjahren fuhr er auf der Überholspur, warf den Schulranzen in die Ecke, um im Freien mit dem Ball rumzutollen. Dann schnell nach Hause, umziehen, Training. Früh wurde er selbstständig, raste mit 18 im alten BMW nach Mönchengladbach, suchte sich eine billige Wohnung im Bahnhofsviertel mit Toilette auf dem Gang, kabbelte sich mit seinem gestrengen Förderer, dem Borussen-Trainer Jupp Heynckes, war mit 19 schon Nationalspieler. 

Beginn einer Weltkarriere: Mit 19 Jahren und nach gerade mal einer Bundesliga-Saison gibt Matthäus 1980 sein Nationalelf-Debüt
Credit: 100 Pro Imago Sport
Sein DFB-Trikot bringt vor dem ersten Einsatz seine Mutter Katharina daheim in Herzogenaurach in Form, 1980 wird er damit Europameister
Credit: ddp images

Und schnell ging’s weiter. Mit 23 zu Bayern, Weltkarriere, mit 27 zu Inter Mailand, Weltmeister, vier Jahre später zu den Bayern zurück als Kapitän. Immer lief alles wie geschmiert. Bis Matthäus sich entschloss, Trainer zu werden. „Er hat den Fehler gemacht, nicht gleich bei einem Club mit Weltruf anzuheuern“, sagte mir Giovanni Trapattoni. „Ich bin am Ende meiner Laufbahn gleich Trainer bei Juventus Turin geworden.“ 

Matthäus fing bei Rapid Wien an. Einem Club mit viel Tradition, aber wenig Geduld. Nach 245 Tagen war Schluss. Matthäus begann zu tingeln. Von Wien zu Partizan Belgrad, zur ungarischen Nationalmannschaft, nach Brasilien zu Paranaense, schnell weiter nach Salzburg, nach Israel zu Netanja, nach Bulgarien. „Diese Jobs waren alle eine Nummer zu klein für einen Weltfußballer“, so Trapattoni. 

Matthäus hält dagegen: „Ich habe zwar das ein oder andere unterschätzt. Unter dem Strich jedoch gilt: Egal, wo ich gearbeitet habe, ist ein Ruck durch die Mannschaft gegangen. Ob tabellarisch oder von der Verbesserung der Spielerqualität. Ich habe sehr viele junge Spieler gefördert.“

In Israel wurde sein Job zum Politikum. Als er ihn im April 2008 bei Maccabi Netanja antrat, hallten ihm die Worte von Uli Hoeneß nach: „Da wird die Frau Merkel ganz schön viel Arbeit bekommen, um die diplomatischen Verwicklungen zu lösen.“ Das Gegenteil war der Fall, die Kanzlerin hatte ihre Freude. Charlotte Knobloch, wortgewaltige Präsidentin der jüdischen Kultusgemeinde in München, sagte mir: „Lothar Matthäus hat in seinem Jahr in Israel mehr für die deutsch-israelischen Beziehungen geleistet als so mancher Politiker.“ Nach nur einem Jahr war dennoch Schluss, weil der Investor die Sparbremse zog. Hoeneß sagt heute: „Ich hätte keine Probleme mehr, ihn wo auch immer hinzuschicken. Lothar ist diplomatischer geworden, tritt in keine Fettnäpfchen mehr.“

In seine Zeit bei Maccabi Netanja fiel auch eine Verabredung mit ihm, die ich nie vergessen werde. Am Strand des 30 Kilometer entfernten Tel Aviv bei einem kleinen Italiener wollten wir uns sehen. Als er nicht kam, wurde ich nervös, denn nach ihm konnte man normalerweise die Uhr stellen, so pünktlich war er. Er kam mit fast einer Stunde Verspätung und entschuldigte sich mit den Worten: „Ich war schnell mal in Las Vegas. Habe dort die Liliana geheiratet.“ Auch wenn mich an Matthäus nichts mehr überraschte, das dann doch. 

Einblicke in sein Seelen- und seine Eheleben gab Matthäus mir einmal in einem Interview, das ich für das Journal „Fußball und Familie“ führte. „Meine Lebensabschnitte waren immer voller Herz, Liebe, Leidenschaft. Gefühle zu 100 Prozent. Man geht in die Ehe hinein wie in ein Fußballspiel. Man will gewinnen. Das Ende ist wie eine Niederlage.“ Am wichtigsten sei ihm im Nachhinein vor allem eines: „Dass ich heute in den Spiegel gucken kann und sagen: Hör zu, es hat zwar nicht funktioniert. Aber du hast dich immer ehrlich und korrekt verhalten.“ 

Lothar Matthäus mit seiner ersten Ehefrau Silvia
Credit: 100 Pro Imago Sport

Im Sport überwogen die Siege. Trotz dieses verdammten Sekundentods 1999 in Barcelona, als Bayern bis 100 Sekunden vor Schluss gegen Manchester United 1 : 0 führte – und doch noch 1 : 2 verlor. Matthäus musste sich von Mehmet Scholl und Stefan Effenberg Vorwürfe anhören, er würde sich in entscheidenden Momenten „verpissen“. Er hatte zehn Minuten vor Schluss um Auswechslung gebeten, er war nach einer Verletzung am Ende seiner Kräfte. „Wenn wir verloren haben“, klagte Matthäus hinterher, „bekam immer nur einer auf die Schnauze – ich.“  

Mit etwas zeitlichem Abstand fallen die Urteile über ihn milder aus. „Es war schon eine Leistung, dass er mit 38 Jahren noch so lange durchhielt“, verteidigte ihn Trainer Ottmar Hitzfeld später. Und Hoeneß: „Wenn er das Gefühl hatte, dass er der Mannschaft nicht helfen kann, ist das zu akzeptieren. Ich bin jedoch immer noch der Meinung, dass Lothar wichtiger war als jeder, der auf der Bank saß.“

Karl-Heinz Rummenigge sieht den Charakter von Matthäus schon seit der WM 1986 in mildem Licht. „Ich bin acht Wochen mit ihm auf einem Zimmer gelegen. Da lernt man einen Menschen sehr gut kennen. Ich hatte Verletzungsprobleme, die Ärzte gingen im Zimmer ein und aus. Lothar war nie genervt, hat mich total unterstützt. Er ist menschlich voll in Ordnung.“

Und Matthäus selbst? Pocht darauf, in seiner ganzen Karriere nur einen einzigen schwerwiegenden Fehler gemacht zu haben: dass er 2006 bei Atlético Paranaense in Curitiba, dieser so europäisch anmutenden Millionenstadt im Süden Brasiliens, nach sechs Wochen die Brocken hinwarf. „Bei einem Verein, wo sie mich geliebt haben.“ Matthäus nahm mich damals mit in Mannschaftssitzungen, die Spieler hingen an seinen Lippen. Als dann der Karneval ausbrach und sein Club wollte, dass er mit Marijana, seiner dritten Ehefrau, in Rio auf einem Promi-Wagen sitzt, kam es zu Differenzen. Matthäus entschied sich fürs Private, heim zu seiner Frau. Wer weiß, was gekommen wäre, wenn er in Curitiba, gehegt und gepflegt vom VW-Werk, geblieben wäre. 

Auf die großen Triumphe, deren Höhepunkt der WM-Titel 1990 ist, folgt ein Rückschlag: 1992 erleidet Matthäus einen Kreuzbandriss
Credit: 100 Pro Imago Sport

Das streng Deutsche, das noch strengere Fränkische ebnete Matthäus immer wieder den Weg. Als er sich im April 1992 in Parma einen Kreuzbandriss zuzog, ließen sie ihn bei Inter fallen wie eine heiße Kartoffel. Matthäus ließ sich von
Dr. Müller-Wohlfahrt und Masseur Fredi Binder in seine Wohnung ein Fitness-Studio einrichten, trainierte im Vierstundenrhythmus. Wenn er um Mitternacht ins Bett ging, klingelte der Wecker um vier, um acht Uhr wieder. Sechsmal täglich ging er an die Geräte. Sein Plan war, dass ihn Inter im Glauben, er komme mit 31 Jahren nicht mehr in Fahrt, billig zu Bayern zurückkehren lässt. Dafür musste zunächst Lothars Freund Rudi Houdek aktiv werden, ein Fußball-Mäzen und Fleischwarenfabrikant. Houdek nahm Kontakt auf mit Franz Beckenbauer, der zum damaligen Zeitpunkt Vizepräsident von Bayern München war, zusammen mit Karl-Heinz Rummenigge.

Der erinnert sich noch genau: „Ich war im Urlaub auf Sardinien, da rief mich Franz an: ‚Kannst du morgen nach Mailand kommen? Wir haben einen Termin bei Ernesto Pellegrini, dem Inter-Präsidenten. Du kennst ihn, du sprichst die Sprache.‘ Ich bin postwendend nach Mailand geflogen.“ Rummenigge, gelernter Bankkaufmann, konnte auch gut rechnen. Am Ende standen fünf Milliarden Lire, damals rund vier Millionen D-Mark auf dem Papier. „Das war für einen Weltfußballer ein fairer Preis, auch wenn er einen Kreuzbandriss hatte.“ Kein halbes Jahr nach seiner Verletzung, im September 1992, feierte Matthäus sein Bundesliga-Comeback in München. Er blieb acht Jahre.

Nachdem Matthäus Mailand verlässt, kehrt er zum FC Bayern und Uli Hoeneß zurück
Credit: SZ Photo
Nach vier Meistertiteln und einem einjährigen Abstecher nach New York beendet er 2000 seine Karriere
Credit: dpa

Im Bayern-Museum haben sie jetzt anlässlich seines 60. Geburtstags Platz neben Franz Beckenbauer und Gerd Müller für eine weitere Sonderausstellung geschaffen. Und auch die Jury des Ballon d’Or wies dem Weltfußballer von 1990 und 1991 kürzlich einen Ehrenplatz zu. Ende des Jahres 2020 wählte sie ihn in die Elf der besten Fußballer der Geschichte – dort teilt er sich das Rampenlicht nun mit Spielern wie Maradona, Messi und Pelé.

Im Mittelpunkt seines Privatlebens stehen mittlerweile längst seine vier Kinder. Wenn Sohn Loris, 28, aus der zweiten Ehe mit Lolita Morena, aus Genf zu Besuch kommt, hat er einen glühenden Inter-Fan zu Gast. Milan, 6, ist ein leidenschaftlicher Bayern-Fan, ärgert sich über jedes Gegentor. Auch die Töchter Alisa, 34, und Viola, 32, aus erster Ehe mit Silvia, schwören auf Bayern. Besonders stolz ist Matthäus darauf, dass ihn Alisa im Oktober 2020 mit dem kleinen Samo zum Opa gemacht hat, er eilte gleich ins Krankenhaus, „weil ich stolz bin. Und weil ich in meinem Alter gerne ein Opa sein darf.“ Ein Opa, der mit 60 Jahren ruhiger geworden ist, der seinen Platz gefunden zu haben scheint, der sich jedoch, so mein Eindruck, auch das Lausbubenhafte bewahrt hat, das er immer an sich hatte. 

Zu seinem 33. Geburtstag lud Matthäus einen Teil der Bayern-Mannschaft zu Musik, Umtrunk und Essen in die „Schlossgaststätte Leutstetten“ ein. Als Olaf Thon auf die Bühne ans Schlagzeug gebeten wurde, kippten ihm Mitspieler einen kräftigen Schuss Whisky in seine Cola. Thon kippte das Getränk unter großem Gelächter runter – war am nächsten Tag krank, erschien nicht zum Abflug der Mannschaft nach Hamburg. Auch Dr. Müller-Wohlfahrt, ebenfalls auf der Party, konnte nicht helfen. Uli Hoeneß war – vorsichtig ausgedrückt – not amused.

Thon konnte noch am Spieltag nachfliegen, wurde erst nach einer Stunde eingewechselt. Bayern siegte 2 : 1. Im Nachhinein sprach Lothar Matthäus mit einem Lächeln im Gesicht von einer teambildenden Aktion. Niemand konnte ihm widersprechen.

Titelbild: Stephan Pick/Roba Images