Streitschrift: Warum Gleichberechtigung unseren Sex besser macht


Der Kolumnist Harald Martenstein hat vor nicht allzu langer Zeit mit dem Gedanken gespielt, sein Geschlecht zu ändern. Nicht, weil er sich im falschen Körper fühlte – sondern weil er das Mannsein satthatte. Zu viel Vorwurf, zu wenig Dank. Nur an seinem Penis hing er dann doch. Was nach Satire klingt, legt einen wunden Punkt bloß: Die Männlichkeit steckt in der Krise. Und das nicht erst seit gestern.
Kein Wunder, Männer dominieren die Statistiken des Abgrunds: bei Gewalt, Kriminalität, Drogensucht. Wo früher Stärke reichte, stehen heute emotionale Intelligenz, Gleichberechtigung und Teamfähigkeit auf der To-do-Liste. Denn auf klassischen Machismo haben Frauen keine Lust. Wie ungemütlich!
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Also leiden manche Männer. Thomas Gottschalk jammerte im vergangenen Jahr wochenlang öffentlich darüber, nichts mehr sagen zu dürfen – komischerweise, ohne dass jemand sein Mikro abschaltete. Wer so lange auf der Gewinnerseite war, kann sich schon als Verlierer fühlen, wenn es auf dem Pavianfelsen etwas bunter zugeht. So langsam scheint das alte Rollenmodell vom starken Macher wirklich ausgedient zu haben. Hilfe, was kommt jetzt?Nichts Schlimmes, wenn wir bei den Fakten bleiben: Auch Männer hatten es jahrhundertelang nicht leicht. Sie waren Alleinernährer, Krieger, Versorger, Schweiger. Weinen verboten, Schwäche ein No-Go. Emotionen? Irgendwo zwischen Fußball und Suff versteckt.
Gleichberechtigung: Verzichten Sie auf Macho-Parolen
Heute dürfen Männer fast alles: Elternzeit nehmen, Depressionen haben, Alpakas züchten, sich die Nägel lackieren und ihren Geschlechtseintrag ändern. Das ist Fortschritt. Und doch: Statt befreit wirken viele Männer orientierungslos – oder gar aggressiv. Sie wählen konservativer als Frauen oder gleich rechtsextrem, sie sehnen sich nach klaren Hierarchien.
AfD-Politiker und Influencer wie Andrew Tate inszenieren Männlichkeit als Rückeroberungsprojekt: stark, hart, unberührbar. Wer dazugehören will, muss ein Alphatier sein. Frauen, zurück an den Herd – oder ins Bett, wenn wir das wollen! Auch auf Dating-Portalen wird das alte Skript neu aufgewärmt: Frauen wollen angeblich nur dominante Männer. Und wer Sex will, muss zeigen, „wo’s langgeht“. Aber stimmt das wirklich?
Die Wahrheit ist komplizierter. Natürlich gibt es Frauen, die einen Macher attraktiv finden. Aber kaum eine will einen Mann, der seine Unsicherheit hinter Macho-Parolen versteckt. Genauso unattraktiv ist ein Mann, der keinen eigenen Willen hat oder gar lebensuntüchtig ist. Männer, die ständig um Bestätigung bitten oder Care-Arbeit bei Frauen abladen, wirken nicht gleichberechtigt, sondern bedürftig. Eine Freundin von mir brachte es neulich auf den Punkt: „Ich will doch nicht mit jemandem schlafen, wenn ich mich wie seine Mutter fühle!“

Umgekehrt ist auch der kalte Macker mit null Empathie keine Lösung. Die Herausforderung lautet: selbstbewusst sein, ohne zu dominieren. Zärtlich sein, ohne zu klammern. Verantwortung übernehmen, ohne in alte Rollen zurückzufallen. Was sich viele Frauen wünschen, ist ein Gegenüber auf Augenhöhe: einen Mann, der eigene Interessen hat, selbstständig denkt und fühlt – und trotzdem da ist, wenn es um Kind, Küche, Kalenderpflege geht. Der liebevoll ist, aber nicht anbiedernd. Der sich traut, zu begehren – aber nicht zu benutzen. Der sich nicht klein fühlt, wenn sie auch groß ist.
Gleichberechtigung: Werden Sie selbst ein Vorbild
Ein gelungenes Beispiel für so eine Figur liefert seit vergangenem Jahr eine Netflix-Serie: In „Nobody wants this“ verliebt sich die Sexpodcasterin Joanne in den Rabbi Noah. Er ist emotional, verletzlich, aber dabei klar in seinen Werten, selbstbewusst in seinen Entscheidungen. Er hört zu, aber redet auch. Er liebt, ohne sich aufzugeben. Kein Wunder, dass die Serie in Deutschland Platz eins der Charts eroberte. Die Sehnsucht nach solchen Männern ist weit verbreitet.
Warum aber fällt es vielen so schwer, so oder ähnlich zu sein? Weil Männern bisher Vorbilder fehlen. Sie müssen selbst welche werden, anstatt welche zu haben. Ein weiterer Grund liegt in ihrer Sozialisierung. Wer von klein auf lernt, dass „weiblich“ gleichbedeutend mit „schwach“ ist, der wird Mühe haben, eigene Gefühle zuzulassen. Noch immer bekommen kleine Jungs weniger emotionale Ansprache als Mädchen. Noch immer gilt Verletzlichkeit als unmännlich.

Gleichberechtigung: Teilen Sie sich die Hausarbeit
Der Soziologe Klaus Theweleit beschrieb schon 1977 in „Männerphantasien“, wie die Angst vor dem Weichen, Emotionalen zur Quelle männlicher Gewalt wird. Die feministische Autorin bell hooks bringt es noch klarer auf den Punkt: „In Wirklichkeit suchen Männer Sex in der Hoffnung, dass er ihnen all die emotionale Befriedigung verschafft, die die Liebe mit sich bringt.“ Sex als Ersatzhandlung – weil Nähe, Liebe, Zärtlichkeit keine anerkannten männlichen Bedürfnisse sind? Dabei könnte Sex so viel mehr sein. Etwas, bei dem alle Geschlechter ohne Angst und Scham ihre Bedürfnisse und Wünsche ausdrücken können. Wer fühlt sich denn gleich kastriert, wenn eine Frau Stärke und Lust ausstrahlt, anstatt ihr Gegenüber devot anzuhimmeln?
Der Geist der Gleichberechtigung ist aus der Flasche – und wer glaubt, er lasse sich von den Trumps, Tates und anderen testosterontrunkenen Traditionalisten wieder einsperren, hat wahrscheinlich auch noch VHS-Kassetten im Schrank. Die gute Nachricht lautet: Gleichberechtigung nützt allen, auch Männern. Das sagt sogar ein Mann, der amerikanische Soziologe Michael Kimmel: „Je mehr Männer die Hausarbeit mit ihren Frauen teilen, desto glücklicher, gesünder und besser in der Schule sind ihre Kinder, desto glücklicher und gesünder sind ihre Frauen und sie selbst. Und: Tatsächlich haben diese Männer mehr und besseren Sex.“
“Wäre es nicht fabelhaft, um unserer selbst willen geliebt zu werden und nicht für Muskeln oder Statussymbole?
Gleichberechtigung: Bleiben Sie authentisch
Na also. Darum ist es ist an der Zeit, das eigene Verhalten und das Beuteschema zu hinterfragen. Die sexuelle Biografie. Was davon ist wirklich „ich“ – und was hat mir die Gesellschaft ins Kopfkissen geflüstert? Welche sexuellen Wünsche schlummern in mir? Was wünsche ich mir von Frauen – und warum? Welche dieser Wünsche sind echt? Und welche einfach nur bequem? Klar ist: Wer sich ehrlich mit diesen Fragen beschäftigt, hat vielleicht nicht sofort besseren Sex, aber sehr wahrscheinlich den authentischeren. Und das ist ein Anfang. Für mehr Lust. Mehr Nähe. Und mehr Freiheit.
Echte Intimität entsteht da, wo wir aufhören zu performen – und anfangen, wirklich da zu sein. Nicht als Rolle, nicht als Retter oder Rampensau. Sondern als Mensch. Wäre es nicht fabelhaft, um unserer selbst willen geliebt zu werden und nicht für Kontostand, Muskeln oder Statussymbole? Das mag nach Klischee klingen, doch ein Blick ins Netz zeigt, in wie vielen Köpfen solche Gedanken herumgeistern. Gleichberechtigter Sex ist kein Verzicht. Er ist ein Versprechen: mehr von dem, was wir uns alle wünschen – vielleicht ohne es je laut gesagt zu haben: dass jemand uns sieht. Und trotzdem bleibt.