„Ich hatte anfangs immer das Gefühl: Ich bin eigentlich nicht gut genug“

Sightseeing der besonderen Art: Beim Interview mit Robin Gosens zeigt er uns unerwartete Ecken seiner neuen Heimatstadt
Credit: Hardy Mutschler
Sightseeing der besonderen Art: Beim Interview mit Robin Gosens zeigt er uns unerwartete Ecken seiner neuen Heimatstadt
Credit: Hardy Mutschler

Seit Robin Gosens 2024 in Italiens Renaissance-Hauptstadt gewechselt ist, hat auch er eine Art Wiedergeburt erlebt – jedenfalls sportlicher Art. Bei der AC Florenz ist er Führungsspieler. Und für manchen Kollegen ein wichtiger Vertrauter. Im Interview spircht der Nationalspieler und Fiorentina-Star über italienische Lebenskunst, seinen Umgang mit Selbstzweifeln und den mental stärksten Spieler, dem er je begegnet ist.

Von: Alexander Neumann-Delbarre
20.05.25
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Hätte der Fußballgott persönlich sich irgendwo ein kleines Trainingsgelände hingezaubert, es läge womöglich so wie das der AC Florenz: umgeben von Olivenhainen und grünen Hügeln vor den Toren der Hauptstadt der Toskana. Natürlich kommt auch die Sonne raus, als Robin Gosens nach dem vormittäglichen Training aus einem der verglasten Clubgebäude tritt. Ein PR-Termin mit VW steht für ihn an. Wir werden ihn dabei begleiten und interviewen. Der Plan: in die Stadt fahren, Fotos machen, schließlich Espresso trinken in einer Bar. Es kommt dann anders. Aber jetzt fahren wir erst mal los. Nationalspieler, Fiorentina-Star und VW-Markenbotschafter Gosens am Steuer des Elektro-Bulli ID.Buzz. Steigen wir mal locker ein.

Sie sind sechs Jahre lang für Atalanta Bergamo und Inter Mailand aufgelaufen. Nach einer Saison bei Union Berlin spielen Sie nun in Florenz. Wo fühlen Sie sich heute mehr zu Hause: in Deutschland oder in Italien? 

So richtig Heimat wird für mich immer Emmerich am Rhein bleiben, wo ich aufgewachsen bin. Aber all die Erfahrungen, die meine Frau und ich hier in Italien gesammelt haben, haben uns schon sehr geprägt. Wir haben die Pandemie hier erlebt, unser erstes Kind kam hier zur Welt. Wir haben so viele emotionale Verbindungen zu dem Land, dass es mittlerweile ein zweites Zuhause ist. 

Was mögen Sie besonders an Italien?

Was ich wahrscheinlich am meisten schätze, ist die Positivität, mit der die Italiener durch den Alltag gehen. Ich möchte das gar nicht mit den Deutschen vergleichen, im Sinne von „In Deutschland wird alles negativ gesehen“ – das wäre Unfug. Aber was mir im Laufe der Jahre schon aufgefallen ist, ist diese Art der Italiener, aus jedem Tag das Beste zu machen, auch wenn etwas gerade nicht super läuft. Die Haltung ist nicht: Ich habe Probleme, und deshalb darf ich jetzt nicht glücklich sein. Sondern eher: Ich darf trotz aller Probleme auch glücklich sein. Außerdem tragen viele Italiener ihr Herz ein bisschen auf der Zunge. Das liebe ich. Gefühle zu zeigen, statt sie in sich reinzufressen, das ist ganz, ganz wichtig. Ich versuche auch, mir das so ein wenig abzugucken. 

Klappt es? 

Ein bisschen schon, denke ich. Und das hat mir geholfen, auch mit eigenen Problemen besser umzugehen. 

Ein Rückschlag, mit dem Sie 2024 umgehen mussten, war die Nicht-Nominierung für die EM. Nun läuft es sportlich wieder sehr gut bei Ihnen, aber ob Sie künftig wieder fürs DFB-Team spielen, hängt auch von Faktoren ab, auf die Sie kaum Einfluss haben: Nagelsmanns Pläne, Verletzungen anderer Spieler. Diese im Fußball so häufige Abhängigkeit von äußeren Faktoren und den Entscheidungen anderer: Wie gehen Sie damit um?

Das ist nicht leicht, und ich musste das auch erst lernen. Wenn eine Entscheidung gegen mich getroffen wurde, habe ich früher immer den Fehler bei mir gesucht: Du warst nicht gut genug, und darum kam das jetzt so. Aber nach und nach begriff ich, dass es im Fußball auch oft um Präferenzen des Trainers geht oder darum, dass ein bestimmtes System gespielt werden soll, in das ein Spieler vielleicht besser passt als ein anderer. Und irgendwann kam ich an den Punkt, dass ich mir sagte: Okay, das Einzige, was du wirklich beeinflussen kannst, ist deine Leistung. Also hol einfach jeden Tag das Maximale aus dir raus. So zu denken, nimmt dir Druck und gibt dir eine unglaubliche Ruhe auf dem Platz. Du kannst dir nichts vorwerfen. Das ist sehr wichtig für das eigene Selbstwertgefühl.

Hat es gedauert, bis Sie das gelernt haben?

Absolut. Auch weil ich als Fußballer sowieso anfangs stark von Selbstzweifeln geprägt war, immer das Gefühl hatte: Ich bin eigentlich nicht gut genug.