Nach dem Vorbild der Tour de France: Immer mehr mittelalte Männer entdecken die Trend-Sportart Rennradfahren für sich
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Es gibt nicht viele Dinge, die Jonas Vingegaard und ich gemeinsam haben. Er ist jünger, berühmter, erfolgreicher, vermögender – und auf dem Rennrad hätte ich auf keiner Strecke der Welt eine Chance gegen ihn. Worin der amtierende Sieger der Tour de France und ich uns gleichen? Wir fahren dieselbe Marke. Cervélo heißt der amerikanische Hersteller unserer Carbon-Räder. Die muss man sich halt leisten können: Das Aero-Top-Modell S5, das die Rad-Stars zurzeit über Frankreichs Straßen jagen, kostet rund 13.000 Euro. Bevor Sie mich für verrückt halten: Ich habe das Rad – ein abgespecktes Vorgängermodell – für einen Bruchteil und secondhand gekauft. Es muss ja noch Budget übrig bleiben für neue Reifen, Schläuche, Schuhe, Helm, Brille, Flaschen, Flaschenhalter, Radcomputer. Und: maximal eng sitzende Klamotten.
„Mamils“ – Middle-aged men in Lycra – nennt man Männer wie mich, die am Wochenende ihre mal mehr, mal weniger (mit Tendenz zu Zweiterem) gut trainierten Körper aufs Rennrad schwingen. Größter Reiz: der Speed. Mit keinem anderen muskelbetriebenen Gefährt ist man schneller. Man kommt locker 100 Kilometer weit, äußerst umweltschonend. Und weil Radfahren auch gelenkschonend ist, ist mit Ende 30 noch lange nicht Schluss. Mit genug Rückenwind fühlt man sich auf der Landstraße, als würde man bei der Tour de France mitfahren. Wobei, wer weiß: Vielleicht reicht’s auch in gehobenerem Alter noch für eine Radrenn-Karriere. Und wenn nicht, dann wenigstens für eine Alpenüberquerung. Dafür ist mein Bike mit etwa acht Kilo leider fast etwas zu schwer. Gut, dass Cervélo mit dem R5 auch eine leichtere Variante fürs Bergfahren baut, die etwas günstiger ist als das Aero-Modell. Jonas fährt dieses Rad übrigens auch.
Seit Kindheitstagen ist das Rad mein bevorzugtes Transportmittel – damals zum Fußballtraining oder zu Schulfreunden, heute ins Büro und zum Einkaufen. Ich stürzte mich auf Mountainbikes todesmutig Hügel hinab und brach freihändig Rekorde auf dem Weg zum Bahnhof. Mir ist das Fahrrad nicht fremd. Ein entspannter Kumpel, mit dem man Spaß haben kann. Fremdeln lässt mich nur dieser verbissene Rennradkult. Die Tour de France zum Beispiel finde ich etwa so spannend wie einen Livestream aus meiner Spülmaschine. Zudem hat ein Sport, dessen Anhänger sich freiwillig die Beine rasieren und den Hintern mit Spezialcreme einschmieren, eine gewisse Häme verdient. Allein für die Erfindung der Radlerhose gilt dieser Randgruppenertüchtigung meine ehrliche Verachtung.
Sich hart fühlende Männer auf teuren Geräten: Rennradfahren ist ein Hobby, wie am Reißbrett erdacht für die Midlife-Crisis. „Wenn das Rad mal im Haus ist, ist’s meistens schon zu spät“, kommentierte neulich eine befreundete Psychiaterin. Sind die Kinder aus dem Haus, kennt die Materialschlacht kein Halten mehr. Abertausende Euro fließen in Firlefanz wie ultraleichte Carbon-Rahmen und Klickpedale. Auf Hannibals Spuren müssen die Alpen bezwungen werden – mindestens! Doch rasen die rastlosen Rad-Junkies nicht nur über Berg und Tal, sondern überholen im Trainingseifer gerne auch auf zu schmalen Radwegen oder kreuzen haarscharf Wege voller Kinderwagen im Stadtpark. Zum Glück habe ich noch ein paar Jahre bis zur Lebensmitte – lege aber schon mal Geld beiseite. Nur ganz bestimmt nicht für ein Rad. Geht der Plan auf, bezwinge ich die Midlife-Crisis – ganz klassisch – lieber im Porsche.