Erster Mai: Was der Tag der Arbeit dem gewöhnlichen Arbeitstag voraus hat

Wie man die Errungenschaften der Arbeiterbewegung gebührend feiert? Bei einem Getränk im Park zum Beispiel
Credit: Imago
Wie man die Errungenschaften der Arbeiterbewegung gebührend feiert? Bei einem Getränk im Park zum Beispiel
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In der monatlichen Kolumne „Einer von uns – Keiner von uns“ feiern unsere Autoren Dinge, die erfreuen – und kritisieren schonungslos, was nervt. Dieses Mal: Warum der Tag der Arbeit einer von uns ist  – der gewöhnliche Arbeitstag hingegen keiner von uns

Von: David Holzner
30.04.25
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Einer von uns: Tag der Arbeit

Jeder mag den Tag der Arbeit. Anders als sein Name es vermuten lässt, ist er nicht verwandt mit dem Arbeitstag. Er gehört zur Familie der Feiertage, weshalb am 1. Mai nicht gearbeitet wird. Das mögen die Menschen. Es gibt den Tag der Arbeit bereits seit 1890. Damals war er zwar noch nicht arbeitsfrei, stand aber schon für fortschrittliche Ideen wie mehr Freizeit und höhere Löhne. Heute kommen Forderungen nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit hinzu – sympathisch! 

Dass ausgerechnet die Nazis den 1. Mai zum Feiertag machten, scheint seine Beliebtheit nicht zu mindern. Das Werk vom Künstler trennen, nennt man so was. In einer Zeit, in der sogar Feiertagen eine pro­blematische Vergangenheit angelastet werden kann, ist das wichtiger denn je.

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Aber auch abgesehen davon, hatte der beliebte Feiertag in den letzten Jahrzehnten mit Imageproblemen zu kämpfen – und zwar wegen der traditionell stattfindenden Demonstrationen. Die gibt es zwar auch an vielen anderen Tagen im Jahr, am Tag der Arbeit allerdings mit deutlich höherem Verletzungsrisiko. 

Wer den 1. Mai also lieber friedlich und entspannt verbringen möchte, dem sei geraten, sich die Arbeiterbewegung zum Vorbild zu nehmen. Die umging 1890 Versammlungsverbote, indem sie sich zu Spaziergängen verabredete. Kann man wieder genauso machen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Warum nicht im Park mit einem kühlen Getränk?

Keiner von uns: Arbeitstag

Keiner mag den Arbeitstag. Er ist eine miese Type. Schon der Gedanke an ihn lässt Arbeitnehmer aller Länder erschaudern. Wie so vielen zwielichtigen Gestalten begegnet man dem Arbeitstag meist in der Gruppe. Fünf von ihnen im Pack nennt man eine Arbeitswoche. Doch zum Glück gibt es mutige Menschen, die den Arbeitstag bekämpfen. Vor über 100 Jahren trat die Arbeiterbewegung dem Peiniger zum ersten Mal entgegen. 

Seitdem geht es dem Arbeitstag an den Kragen. Mit Hammer und Sichel bewaffnet, stutzte man ihn zurecht: Achtstundentag, Fünftagewoche. Heute würde man das Ungeheuer am liebsten nur noch viermal pro Woche aus dem Käfig lassen. Ist die Arbeiterbewegung erst mit ihm durch, was bleibt dann noch von ihm übrig?

Aber Vorsicht, der Arbeitstag ist tückisch! Aus der ihn bekämpfenden Arbeiterbewegung machte er eine Generation von unbeweglichen Kollegen mit Rundrücken. Jedes Mal, wenn ein Schreibtischarbeiter Stretching macht, lacht der Arbeitstag. Außerdem bescherte er uns Diensthandys und damit ständige Erreichbarkeit. Diese Boshaftigkeit tarnt der Arbeitstag mit dem Unwort „flexible Arbeitszeiten“. 

Auch die Feiertage sind nicht vor ihm sicher: Statistisch gesehen, wird jeder dritte Beschäftigte den 1. Mai arbeitend verbringen. Mancher auch im Homeoffice oder im nahe gelegenen Park. Möchte man dem Arbeitstag dort nicht begegnen, lässt man das Diensthandy aus Sicherheitsgründen besser ausgeschaltet.

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