Das Oktoberfest im Bierzelt feiern: Absolute Gaudi oder purer Stress?


David Goller, Playboy Senior Editor, findet: Im Bierzelt sind alle vereint - und wenn auch nur für eine Maß
Es ist warm, laut, manchmal stickig – und alle wollen rein. Für gute zwei Wochen sind die Wiesn-Zelte die begehrtesten Vergnügungstempel des Planeten. Die einen meiden sie wie der Bayer das alkoholfreie Bier. Andere – und dazu gehöre ich – lieben es, im Bierzelt zu sitzen. Meine Prägung begann früh, denn vor rund 35 Jahren machte ich bei einem Dorffest im Bierzelt meine ersten Schritte. Und bis heute zieht es mich hinein in diesen überwältigenden Kosmos mit seinen eigenen Gesetzen, wo Schichten und Nationalitäten aufeinanderprallen: Großstädter auf Dorfschönheiten, Geistesmenschen auf Metzger, Chinesen auf Chiemgauer. Hier sind alle Konventionen hinfällig, Sprache wird auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht. Kommuniziert wird mit Handzeichen, Nicken, Kopfschütteln und gebrochenem Englisch. Erbrochenes gibt’s auch, das wird aber kurzerhand entfernt und mit Sägespänen neutralisiert.
Das Bierzelt macht die Menschen gleich. Man reicht sich die Hände, singt, und alle sind sich einig – wenn auch nur eine Maß lang. Oder vielleicht drei. Natürlich ist man in diesem Chaos schnell überfordert. „Ja mei“, sagt da der Bayer schulterzuckend. Schließlich muss niemand rein ins Zelt, das Oktoberfest bietet auch sonst genügend Highlights. Im Allgemeinen aber gilt: In ist, wer drin ist. Da werden Türsteher bestochen, Visitenkarten gezückt und alles versucht, um noch einen Tisch oder wenigstens einen Platz zu ergattern. So manchem hatte ich damals was voraus, als ich im Bierzelt das Laufen lernte, denn einige verlernen es hier wieder. Kurz: Nirgends ist der Mensch so sehr Mensch wie hier. Tausende mit dem Ziel, eine gute Zeit zu haben. Was kann daran so falsch sein?
David Holzner, Playboy Volontär, findet: Im Bierzelt fehlt der Platz fürs Wesentliche – Gespräche und Schweinsbraten
Bier geht bei mir immer. Feiern sowieso. Warum ich Festzelte trotzdem meide? Das lässt sich am besten anhand meines ersten Wiesn-Besuchs erklären: Ich aß gerade Schweinsbraten, als die Menschen um mich herum plötzlich beschlossen, dass Bierbänke nicht zum Sitzen, sondern zum Stehen da sind. Als ich die Gabel zum Mund führte, drückte mir ein Mann seinen Lederarsch ins Genick. Ich war sehr verwundert. Schließlich glaubte ich, auf dem Münchner Oktoberfest zu sein und nicht auf einer Leder-Fetisch-Party in Berlin. Von meiner Verwirrung konnte ich niemandem berichten. Das kollektive Grölen zu den jüngsten Partyschlager-Kompositionen war einfach zu laut. Ich erinnere mich an keines der Wörter, die mir meine Freunde unter Ausreizung ihrer Stimmbänder ins Ohr brüllten. Den Text eines Liedes namens „Bumsbar“ kenne ich hingegen bis heute auswendig.
Irgendwann war ich es leid, schüttelte mir einen halben Liter Speichel aus dem Ohr und machte mich auf den Heimweg. Am nächsten Tag ging es mir sehr schlecht. Ich hatte Angst, mich mit der berüchtigten Wiesn-Grippe angesteckt zu haben – der fünften Jahreszeit unter den grippalen Infekten. Zum Glück stellte sich heraus, dass mein Unwohlsein keiner Krankheit geschuldet war, sondern den sechs Litern Bier, mit denen ich versucht hatte, mir diese Veranstaltung schönzusaufen. Heute frage ich mich, ob ich bei meinem ersten Festzeltbesuch alles falsch gemacht hatte. Dagegen spricht, dass auch erfahrene Wiesn-Gänger diese Probleme beklagen. Fragt man sie, warum sie dennoch immer wieder in die Zelte drängen, hört man als Antwort: „Einmal im Jahr muss das sein.“ Dieses Argument lasse ich allerdings nur für Prostata-Untersuchungen gelten.