Krisenzeiten: Brauchen wir mehr Verbote?


David Goller, Playboy Senior Editor, findet: Verbote schützen uns vor Willkür und Idioten
Regeln nerven. Klar. Sie engen ein, machen unbequeme Wahrheiten zur Pflicht und spontane Lust zur Ordnungswidrigkeit. Und doch: Ohne sie versinkt die Welt im Chaos. Verbote sind das unbequeme Gerüst der Zivilisation. Sie schützen die Schwächeren und verhindern, dass aus Freiheit Willkür wird. Schon Gott wusste das, als er Moses seine Zehn Gebote vor den Latz knallte. Nicht töten, nicht stehlen. Leuchtet ein. Dann wird’s aber schon schwierig: Nicht ehebrechen, nicht des Nächsten Frau begehren. Muss man das wirklich so engstirnig sehen? Auch ich hab’s nicht immer so mit Verboten. Den Freibad-Klassiker „Nicht vom Beckenrand springen“ hielt ich schon als Kind für lächerlich. Heute weiß ich: Verbote schützen uns vor Idioten. Denn in jeder Freibad-Gang gibt’s einen, der zu doof für diese kleine Alltagsrebellion ist und einem anderen Badegast ins Kreuz hüpft.
Und doch: ohne Regelbruch kein Fortschritt. Ob Brando oder Breitner, Dean oder Dutschke – sie alle gelten als Ikonen, die sich nicht mit dem Status quo zufriedengaben. Der Grat zwischen Zivilcourage und Ordnungswidrigkeit ist schmal. Viele Errungenschaften verdanken wir jedoch nicht dem sanften Appell an Vernunft oder Nächstenliebe, sondern knallharten Verboten. Sklavenhaltung, Kinderarbeit, FCKW, verbleites Benzin – all das wurde nicht aus Nächstenliebe aufgegeben, sondern gesetzlich untersagt. Am Ende aber geht es bei alldem um eines: Macht und Moral. Jeder will regeln, was ihm wichtig ist. Konservative wollen das Kiffen verbieten, andere wollen bestimmen, wie wir reden sollen. Deshalb braucht es gerade heute einen Konsens über das, was niemals verboten werden darf: den gepflegten, respektvollen Streit.
Philip Wolff, Playboy-Textchef, findet: Verbote nützen vor allem demjenigen, der sie erteilt
Mit Verboten ist das so eine Sache. Selbst der Allmächtige machte, falls das Alte Testament ihn richtig zitiert, ab Paragraf 1 dabei keinen astreinen Eindruck, als er zu Moses sprach: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Wie bitte?! Schon mal von Enlil, An, Utu und so gehört? Die sumerischen Götter sind deutlich älter und hatten Mord, Diebstahl, also Allgemeingültiges, längst geregelt. Ohne Anspruch auf Alleinherrschaft. Merke: Verbote nützen in unserer Kultur an erster Stelle den Interessen desjenigen, der sie erlässt. Konkurrenz unerwünscht. Wenn also Gott es nicht eleganter hingekriegt hat, wie sollte es dem menschlichen Gesetzgeber gelingen? Genau: gar nicht. Zwar erfand er die Demokratie, die von Konkurrenz lebt. Doch anstelle von „Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren“ schuf er Verbote, die selbiges in Bezug auf Politiker unter Strafe stellen.
Auch Friedrich Merz lässt sich nach Paragraf 188 StGB nicht herabwürdigen. Oder seinerzeit der Ampel-Mann Robert Habeck: Er stellte mehr als 700 Strafanzeigen gegen Leute, die ihn „Schwachkopf“ oder anders nannten. Dieser Meinung, meine ich, konnte man durchaus sein. Ebenso wie der Gegenmeinung, Habeck sei mental topfit. Wer solche simplen Ansichten nicht erträgt, ist als demokratischer Gesetzgeber fehlbesetzt. Denn er möchte gottgleich der Konkurrenz den Mund verbieten und verlangen, dass alle nachbeten, was er selbst predigt. Stichwort AfD-Verbot: Gerade wenn Björn Höcke und Co. demokratische Institutionen infrage stellten, wären sie nur im Wettstreit der Worte und Ideen zu schlagen. Und nicht, indem man die demokratischen Spielregeln vorher abschafft. Wir sind ja hier nicht auf dem Berg Sinai.