„Die Menschen haben vergessen, wie göttlich sie sind“

Rock-Legende: Als Jugendlicher verdiente der in Mexiko geborene Carlos Santana sein Geld mit Musikauftritten in den Clubs und Striplokalen von San Francisco. Heute gilt er als einer der Schöpfer des Latin Rock
Credit: Maryanne Bilham, Universal Music, PR
Rock-Legende: Als Jugendlicher verdiente der in Mexiko geborene Carlos Santana sein Geld mit Musikauftritten in den Clubs und Striplokalen von San Francisco. Heute gilt er als einer der Schöpfer des Latin Rock
Credit: Maryanne Bilham, Universal Music, PR

Mit ihrer „Oneness“-Tour sind Carlos Santana und Band gerade in Europa unterwegs. Im Interview verriet uns der große Carlos Santana, dass er sich von uns allen wünscht, von den Hippies der 60er-Jahre zu lernen und endlich die Liebe statt die Angst regieren lassen. Wie er das selbst macht? Mit seiner Gitarre, seiner Frau und Mangos unterm Regenbogen auf Hawaii.

Von: Steffen Rüth
23.07.25
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„Sentient“, das neue Album von Carlos Santana, ist eine Art Retro­spektive. Neben drei neuen Songs gibt es auch einige ältere, länger unbeachtet gebliebene Stücke, darunter „Rastafario“, in dem Santana mit Jahrhunderttrompeter Miles Davis zu hören ist. Wir begegnen dem 77-jährigen Gitarrengott einige Wochen vor dem Start seiner „Oneness“-Tour, auf der er jetzt „Sentient“ und seine unsterblichen Hits auf deutschen Bühnen spielt, per Zoom-Call auf Hawaii. Seine Frau Cindy Blackman Santana hilft ihm, die Verbindung in die Gänge zu bringen, und dann ist der Gitarrenmeister auch schon da. 

Hallo lieber Carlos, wie geht es Ihnen?
Ich bin glücklich. 

Das ist schön zu hören!
Ich hatte einen sehr entspannten Vormittag hier auf Hawaii. Hauptsächlich war ich damit beschäftigt, Miles Davis zu hören. Miles war einer meiner engsten Freunde und Verbündeten. Einer der wenigen, die mich privat zu Hause anriefen. Wir sprachen gerne am Telefon miteinander über Musik und über das Leben. Wir liebten beide John Coltrane, Jimi Hendrix, Prince, James Brown und Michael Jackson.

Auf Ihrem neuen Album „Sentient“ gibt es gleich zwei Michael-Jackson-Nummern: einmal „What­ever Happens“, das Sie für die 2001 erschienene „Invincible“-Platte mit ihm aufgenommen haben, sowie Ihre eigene, 2007 eingespielte Version des 1995er-Hits „Stranger In Moscow“.
Ich erinnere mich unheimlich gern an Michael zurück. Für „Whatever Happens“ pfiff ich ihm eine Melodie im Stil der Musik von den Kapverdischen Inseln vor. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich da­rauf kam, es war wohl eine Mischung aus Kreativität, Eingebung und der Gnade Gottes. Michael mochte meine Idee so sehr, dass er sie als Intro des Songs verwendete. 

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Und was verbinden Sie mit „Stranger In Moscow“?
Einsamkeit. Ich kann mich mit seinen Gefühlen identifizieren, die er in dem Lied artikuliert. Auch ich war häufig in Moskau, und auch ich habe dort keine Freunde. So überwältigend die Stadt auch ist, so allein und verlassen kann man sich dort fühlen. Ich liebe alles, was Michael je geschrieben hat, aber dieses Stück hat eine ganz einzig­artige Energie, einen Sog. 

„Please Don’t Take Your Love“ wiederum ist die erste Fassung Ihrer Zusammenarbeit mit Smokey Robinson aus dem Jahr 2009 – auf „Sentient“ ist quasi das Original.
Das ist korrekt. Smokey ist mein Soulbruder, und es ist genau diese soulige Qualität, die ich an diesem Lied so schätze. Überhaupt, Smokey. Er ist für mich einer der Allergrößten. Ich kam 1962 mit meiner Familie aus Tijuana in die USA nach San Francisco, und Smokey war zu dem Zeitpunkt bereits ein Nummer-eins-Künstler mit The Miracles. Motown verkaufte mehr Platten als die Beatles oder die Rolling Stones, und Smokey hat irre viele dieser Songs geschrieben. Er ist wirklich ein außerordentlich wichtiger Künstler für die Entwicklung der Musik insgesamt gewesen.

Wie kommt es, dass Sie so gerne mit anderen Musikerinnen und Musikern zusammenarbeiten?
Weil ich es als eine riesengroße Ehre empfinde und weil irgendwo in mir drin immer noch dieses Kind steckt, das ein Fan dieser Musiker ist und sie vergöttert. Ich habe mich einmal lange mit Prince über die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern unterhalten, und bei diesem Thema gingen unsere Ansichten etwas auseinander. Prince wollte immer alles selbst machen. Aber ich hatte nie diesen Drang. Perfektion entsteht für mich, wenn Musik Menschen zusammenführt. Musik ist für mich eine heilige und eine heilende Kraft. 

Haben Sie rational durchdrungen, warum Musik so eine Macht hat?
Musik ist Magie. Musik ist göttlich. Mit rationalem Denken lässt sich das nicht beantworten. Ich meine, wir haben jetzt die künst­liche Intelligenz, die jeden Tag besser darin wird, bestehende Strukturen, auch Kompositionen, zu analysieren und zu reproduzieren. Auch kann sie aus dem Existierenden etwas Neues schöpfen. Aber besorgt mich das? Nein.

Musik ist Magie. Musik ist göttlich

Carlos Santana

Carlos Santana

Warum nicht?
Weil die künstliche Intelligenz nicht die Fähigkeit besitzt, Freude zu kreieren, dich in Tränen ausbrechen zu lassen oder gar Liebe zu machen. Ein Computer hat keine Emotionen. Ein Computer wird auch niemals ein Baby zeugen können.

Ich weiß nicht, ob ich darauf wetten würde. 
Wir werden sehen. Ich habe nicht die Fantasie, mir vorzustellen, dass in einem von der KI komponierten Stück jemals so die Funken fliegen wie in „Coherence“, dem neuen Song, den ich mit Cindy aufgenommen habe.

Carlos Santana zählt zu den besten Gitarristen aller Zeiten, spielte und komponierte mit Weltstars wie Michael Jackson. Seine 28 Alben aus 56 Jahren verkauften sich über 100 Millionen Mal
Credit: Maryanne Bilham, Universal Music, PR

Sie sind nicht nur seit 15 Jahren mit Cindy Blackman Santana verheiratet, sie spielt auch Schlagzeug in Ihrer Band und begleitet Sie auf alle Konzerte. Was charakterisiert Ihre Beziehung?
Lust. Interesse. Leidenschaft. Liebe. Wir sind uns in gegenseitiger Bewunderung verbunden. Cindy und ich begegnen uns stets zugewandt und in guter Stimmung. Ich möchte nicht, dass sie wegen mir schlechte Laune bekommt, und Cindy empfindet mir gegenüber genauso. Und wenn wir zusammen Musik machen, dann ist das so, als hätten wir Sex miteinander.

Dann muss ich wohl nicht fragen, wie sehr Sie sich auf die Tournee freuen?
Nein (lacht). Ich weiß nicht, ob es auf der Welt etwas gibt, das ich mehr liebe, als mit Cindy die Bühne zu teilen. Sie ist eine fantastische Drummerin. Und sie hat so eine ganz natürliche, ungezwungene Art, ihr Licht scheinen zu lassen. Ich liebe alles, was Cindy liebt. Musikalisch sowieso, wir huldigen Wayne Shorter, Herbie Hancock, Miles Davis, John Coltrane. Wir haben uns aber auch ein beachtliches Vokabular an Musikstilen aus aller Welt angeeignet. Wir lieben Musik aus Indien, aus Afrika und auch klassische Musik. 

Und auch in Deutschland zu spielen?
Auf die Konzerte im Sommer freue ich mich ganz besonders. Wir kommen seit 1970 nach Deutschland, bei euch fühle ich mich quasi zu Hause. Wie lange waren wir jetzt nicht bei euch? Fünf Jahre, sechs? Allerhöchste Zeit, dass wir wieder bei unseren vielen deutschen Fans und Freunden vorbeischauen.

Sie haben unlängst in einem Interview die Gitarre als die Liebe Ihres Lebens bezeichnet. Ist Ihre Frau eifersüchtig?
Auf die Liebesbeziehung zu meinen Gitarren? Nein. Das ist Liebe zu dritt (lacht). Ich spiele jeden Tag. Mit der Gitarre kann ich kommunizieren, wie es mit einem Menschen gar nicht möglich wäre.

Und Ihr Körper spielt auch mit? Sie werden am 20. Juli 78 Jahre alt.
Ich spiele Tennis und ein wenig Basketball. Und ich meditiere. Was Ausdauer und Reaktionsvermögen betrifft, bin ich wirklich zufrieden. Der Körper ist noch lange nicht marode.

Das heißt, Sie denken gar nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen?
Nein. Der Begriff ist nicht Teil meines Wortschatzes. 

Noch zeitloser als Sie selbst sind Ihre Lieder. Das Album „Supernatural“, mit dem Ihnen 1999 ein sagenhaftes kommerzielles Comeback gelang, ist jetzt 26 Jahre alt, und noch immer klingt es so frisch, als sei es gestern erst rausgekommen.
Für diese Worte möchte ich mich bedanken. Der Schlüssel zu so einer langen Karriere wie meiner, denke ich, ist Vertrauen. Einst in San Francisco sah mich Bill Graham, der legendäre Musikpromoter und Konzertveranstalter, spielen und vertraute mir. Dank Bill hatte ich 1966 meinen ersten Auftritt im Fillmore Auditorium. Bei „Supernatural“ schenkte mir Clive Davis sein Vertrauen – und wurde ebenfalls nicht enttäuscht.

Sein neuestes Werk: Santanas 28. Studioalbum „Sentient“ (dt: „empfindungsfähig“) erschien Ende März
Credit: Universal PR

Sie waren ein Teenager, als Sie mit Ihrer Familie aus dem mexikanischen Tijuana nach San Francisco kamen. Rockmusik wurde damals gerade erst populär, während Blues oder Jazz seit Jahrzehnten etabliert waren. Hatten Sie früh den Wunsch, selbst Musiker zu werden?
Ich glaube, ich bin als Musiker zur Welt gekommen. Ich habe mich nie als etwas anderes gesehen. In San Francisco habe ich gelernt, wie ungemein viele Facetten Musik haben kann. Wenn mich die Leute fragten, was ich denn für einen Stil spiele, habe ich immer gesagt: Meine Musik ist das Leben. Das Leben mit all seinen Farbtönen, Schattierungen und Gefühlen. Ich habe damals alles in mich aufgesaugt, war ständig in Clubs, sah mir The Grateful Dead, Jimi Hendrix, Cream, Otis Rush oder Wes Montgomery an, verinnerlichte, wie sie spielten, was sie spielten, warum sie so spielten, wie sie spielten. Manchmal schaute ich ihnen ins Gesicht, manchmal nur auf die Finger, manchmal auch auf beides. So wurde mir bewusst, wie das Spiel und die Gefühle zusammengehören. 

Was konnten Sie in den Gesichtern ablesen?
Freude, Inspiration. Ich erkenne, ob Menschen hungrig sind nach Sex oder ob ihnen eher nach einem Gebet ist. Wir sind Menschen, letztlich sind unsere Bedürfnisse dieselben, egal, ob es die spirituellen, die sexuellen oder das Grundbedürfnis nach Wasser ist. Ich fühle mich gesegnet, dass ich die Fähigkeit habe, meine Gefühle und Bedürfnisse in meiner Musik auszudrücken. Ich denke, auch einem Pablo Picasso ging es so – manchmal verteilte er die Farben so, als wäre er wütend. Aber das war keine Wut, das waren Überzeugung und Hingabe. 

„Ich werde ewig leben. Ich bin mir ganz sicher: Der irdische Tod ist nicht das Ende“

Carlos Santana

Carlos Santana

Sie sind vor einigen Jahren nach Hawaii gezogen. Was war eigentlich der Grund?
Hawaii ist ein Paradies. Das Wetter, die Menschen, das Essen – alles ist sehr, sehr liebreizend und verlockend. Was es hier nicht gibt, ist Stress. Mir begegnen auf Hawaii keine aufgebrachten, keine verärgerten, keine frustrierten oder wütenden Menschen. Alle sind irgendwie glücklich, viele wirken sehr weise auf mich. Und es ist einfach ein wunderschöner Flecken Erde. Hawaii ist so köstlich für die Sinne, die Mangos, der Regenbogen, der Ozean. Die Menschen haben vergessen, wie göttlich sie sind. Hier auf Hawaii fällt es ihnen leichter, mit ihrer eigenen Göttlichkeit in Kontakt zu treten.

Da fragt man sich natürlich: Warum ist nicht die ganze Welt mehr wie Hawaii?
Weil die ganze Welt so voller Angst ist. Es gibt Angst in Las Vegas, wo ich ebenfalls ein Heim habe, Angst in New York, Angst in Europa, Angst überall. Aber Angst ist kein inspirierendes Gefühl. Angst ist langweilig, sie führt zu nichts. Angst lässt dich zu einem wütenden Tier werden. Sie macht dich arrogant, zynisch und gierig. Du denkst, du bist etwas Besseres als die anderen, ihnen überlegen, und warum denkst du das? Weil du Angst hast.

Sie waren mitten in der damaligen Hippie-Bewegung, haben in Woodstock gespielt. Vermissen Sie diesen gemeinschaftlichen, utopischen Geist von damals?
Heute werden die Hippies manchmal belächelt. Ich finde: völlig zu Unrecht. Wir müssen wieder zurückfinden zu den Wertvorstellungen der Hippies, zur Gemeinsamkeit, Einigkeit und Harmonie. Auch damals haben Leute den Kopf geschüttelt, sich gefragt, was tanzen die denn da nackt im Schlamm, wo doch im Vietnamkrieg die Soldaten sterben. Dabei hatte eines mit den anderen zu tun. Wir haben den Krieg gehasst, und wir haben gleichzeitig das Leben gefeiert. Wir waren nicht einverstanden mit der Politik, aber wir waren trotzdem glücklich und beseelt.

Die Grundstimmung in der Welt und nicht zuletzt in den USA ist gerade einigermaßen unentspannt. Haben Sie einen Rat, was wir tun können?
Man muss sich nicht mit allem abfinden. Es passiert gerade vieles, das nicht in Ordnung ist. Ich kann nur raten, was ich selbst praktiziere: Ich umgebe mich mit Liebe und Fantasie, mit Göttlichkeit und Kreativität. Ich sehe mir die Nachrichten an, aber nur so viel, dass ich informiert bin. Ich will mich nicht infizieren lassen vom Hass und von der Angst, die mir im TV begegnen. Ich will weiter daran glauben, dass die Menschen auf der Welt sind, um Gutes zu tun. 

Würden Sie gerne ewig leben?
Ich werde ewig leben! Ich glaube an die Unendlichkeit. Und ich glaube an das ewige Leben. Es wird nur ein anderes sein als das, was wir kennen. Aber es wird weitergehen – mit Energie und mit Würde. Ich bin mir ganz sicher: Der irdische Tod ist nicht das Ende.

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