Mein Mallorca: Eine Liebeserklärung an einen Irrtum


Afrika war eigentlich im Visier. Zebras, Hitze, rote Erde. Ich hatte mich innerlich längst in einem Safarizelt eingerichtet, als 2004 ein perfekter Traum dazwischenfunkte. Mitten ins Herz. Ein Traum von einer Insel. Sie roch nach wildem Rosmarin, flimmerte in der Mittagssonne und hatte diesen gewissen Schwung. Ich kann es nicht besser beschreiben – Mallorca hatte in meinem Traum einen Hüftschwung. So sinnlich, dass ich mit einem leichten Sonnenbrandgefühl in der Seele aufwachte und dachte: Okay, Afrika muss warten.
Ich wollte Zebras, bekam Esel. Ich wollte Steppe, bekam einen Pool in Felanitx. In einer alten, renovierten Mühle – nicht zu groß, nicht zu klein, mit Garten, Palmen und einem Gefühl, das sich nur mit „dieses Leben könnte passen“ beschreiben lässt. Damals war das noch bezahlbar. Ein kleines Wunder – der Beginn einer langen Geschichte.
Meine neue Zweitheimat nach München lag praktischerweise in der Nähe eines Supermarkts mit dem verheißungsvollen Namen Eroski. Ich gebe zu, ich hatte – naiv wie neugierig – auf ein paar diskrete Erotikartikel zwischen Dosenpfirsichen gehofft. Stattdessen: Thunfisch in Eigenmarke. Dafür Durchsagen auf Deutsch – „Hackfleisch heute im Angebot!“ – und Kundschaft in Sandalen, Socken und ausgeleierten Badehosen. In solchen Momenten sagte ich mir gerne: Du bist ja nur auf Zeit hier. Ein Satz wie eine innere Sonnenbrille – hilft nicht gegen alles, aber blendet einiges aus.
Auswandern nach Mallorca: Ein Leben zwischen Palmen, Stille und Nichtsmüssen?
Als Halbspanierin – Mama aus Barcelona, Papa aus Wernigerode – suchte ich den Zauber des Südens. Und ein bisschen Abstand. Vom vielen Reisen. Vom Dauerfunkeln meiner damaligen Arbeit als Kommunikationsdirektorin eines Diamantkonzerns, die ich im Anschluss an meine Jahre im Fernsehen angenommen hatte. Hier, in Felanitx, im Südosten der Insel, konnte ich endlich die Seele baumeln lassen. Zwischen Palmen, Stille und Nichtsmüssen. Bevor es weiterging.
Ich fand aber zunächst eine schrille Melange aus wortkargen Mallorquinern und deutschen Touristen, die sich mit T-Shirts à la „Ficken – 1,50 €“ gegenseitig angeheitert überboten. Jeder Flug endete mit Applaus, als hätten wir gerade die Mondlandung hingelegt.
Ich blieb erst mal in meiner Mühle. Kochte, lachte, las – und ließ den Markt von Santanyí in Ruhe. Zu viele Strohhüte. Kein Bedarf an WhatsApp-Gruppen oder „Kaffee & Coaching“-Einladungen. Ich wollte die Mallorquiner kennenlernen. Und nach und nach fand ich sie, die echten Menschen. Besonders Susanna. Mallorquinerin. Unternehmerin. Freundin fürs Leben. Ihr verdanke ich, dass ich 21 Jahre später immer noch hier bin – heute sogar offiziell als Residentin. Mit belgischem Mann, Hund, Katze und Lebenssinn.
Auswandern nach Mallorca: Ein bisschen Pippi Langstrumpf, aber mit WLAN
Wir leben heute in der Inselmitte in einer alten Kalkbrennerei, der Zement-Ofen steht noch. Unser Leben? Ein bisschen Pippi Langstrumpf, aber mit WLAN. Hier wohnt das wahre Mallorca. Weit weg vom Yachtclub-Glanz, dafür mit echten Sorgen: Starkregen, Stromausfall, wütende Winde. Und dann wieder diese unfassbare Schönheit der Tramuntana – besonders im Herbst und Winter, wenn die Insel sich selbst gehört. Kein Dorf gleicht dem anderen. Kein Gefühl kehrt zurück. Alles ist neu, jedes Mal. Wenn das Licht weicher wird, die Pinien duften, das Meer aufatmet. Dann kocht man füreinander. Dann finden Gespräche statt, die der Sommer nie erlaubt.
“Mallorca zieht Kreativität an wie die Sonne die Haut
Diese Insel hat mit ihrer Vielfalt viele inspiriert – besonders Künstler. Hier malt jeder Zweite. Und wenn er nicht malt, töpfert er. Oder spielt Ukulele. Oder macht irgendwas mit Klangschalen. Mallorca zieht Kreativität an wie die Sonne die Haut. Auch ich – die nie im Leben einen Kreis ordentlich hinbekommen hat – habe während der Pandemie angefangen zu malen. Wie eine Verrückte. Mit allem, was ging: Acryl, Leinwand, Hände, Herz. Es kam einfach raus. Ich wusste nicht mal, dass das da drin war. Aber die Insel hat es freigelegt.
Und man lernt hier Menschen kennen. Was für Menschen! Aus aller Welt. Ich habe in den letzten 20 Jahren Persönlichkeiten getroffen, denen ich sonst nie begegnet wäre. International, vielsprachig, inspirierend, tiefgründig, verrückt. Vom weltreisenden Koch über den stillen Sammler bis zur schwedischen Galeristin, die aus Versehen geblieben ist. Hier entstehen Freundschaften, Projekte, Visionen – manchmal bei einem Glas mallorquinischem Rotwein, manchmal beim Anstehen im Agromart. (Keine Kampfkunst. Wieder ein Supermarkt.)
Auswandern nach Mallorca: Eine Insel, die sich verändert
Meine größte Freude gilt meiner Verbindung zum fantastischen Maler Luis Maraver. Er lebt in Binissalem, ganz in der Nähe. Ich liebe es, ihn in seinem Atelier zu besuchen und die schönsten Bilder dieser Insel aufzuspüren. Einige weltberühmte Künstler leben hier, zum Beispiel Lin Utzon – dänische Malerin, bekannt für Arbeiten mit Glas, Leinwand und Keramik. Sie ist die Tochter von Jørn Utzon, dem Architekten der Oper von Sydney. Alles ein Glück. Eine wahre Freude.
Und doch … Mallorca hat sich verändert. Die Insel ist nicht mehr nur Rückzugsort. Sie ist zur internationalen Bühne geworden. Der Flughafen Palma bietet heute Nonstop-Flüge zu 175 Zielen in 34 Ländern – darunter New York und bald vielleicht auch China – an. Richard Branson („Son Bunyola“) und Bill Gates („Four Seasons Resort“) bauen hier. Four Seasons plant sogar eine Yachtflotte. Die erste startet 2025 mit 95 Suiten. Mallorca wird ein Anlaufhafen.
Die Kreuzfahrtschiffe blockieren den Horizont wie schlechte Gedanken und überfluten Palma mit Tausenden von Touristen. Die Mietpreise explodieren. Eine gute Wohnung unter 300.000 Euro? Vielleicht noch in Inca oder Lloseta? Aber nein, auch hier nicht mehr. Eine Kugel Eis? Sechs Euro. Willkommen im Hochsommer.

Ein ganz großes Übel aber ist, dass sich viele Mallorquiner ihr eigenes Leben auf der Insel kaum noch leisten können. Die Kosten sind in den letzten Jahren durch die Decke gegangen – Miete, Strom, Wasser, selbst ein einfacher Einkauf. Die Unzufriedenheit wächst spürbar. Viel zu spät begreifen viele, dass sie einst ihre Häuser und Felder an den Meistbietenden verkauft haben – und nun selbst kaum noch Platz finden auf der eigenen Insel.
Und dann sind da die Auswanderer. Viele haben ihren alten Beruf abgelegt – sind jetzt Schamanen, Heilerinnen, Coaches mit Visionen und Instagram-Kanälen. Mallorca als Selbstverwirklichungs-Spielplatz – oft charmant, manchmal schräg. Plötzlich zahlt man sogar Eintritt für manche private Einladung. Früher undenkbar. Heute mediterrane Gala mit Salbei-Deko und Beverly-Hills-Preisen.
“Immer mehr wollen hier dem Alltag entfliehen. Ich frage mich oft: Wann kippt es?
Aber ich habe auch andere kennengelernt: Menschen, die sich mit harter Arbeit und Fleiß etwas aufgebaut haben. Unser rumänischer Freund Marin etwa: früher Bauarbeiter, heute Hotelbesitzer („Placeta Vella Turismo de Interior in Caimari“) oder Brenda Ooteman und Roland Verbeek, die ein verfallenes Anwesen im Herzen der Insel mit viel Hingabe in den wundervollen und nachhaltigen Rückzugsort „Osa Major“ verwandelten. Immer mehr wollen dem Alltag entfliehen, um sich auf Mallorca einen Traum zu erfüllen. Ich frage mich oft: Wann kippt es?
Das Wasser wird knapp. Die Insel ist klein. 3640 Quadratkilometer, 940.000 Einwohner. In der Hochsaison über acht Millionen Touristen. Der Flughafen wird weiter ausgebaut. Letztens brauchte ich fast eine Stunde vom Gate zum Parkhaus – keine Übertreibung. Trotzdem: Ich liebe diese Insel.
Ich liebe Sa Calobra, wo „Cloud Atlas“ von Tom Tykwer gedreht wurde. Ich wandere gerne in Son Serra de Marina den langen Strand ab. Treffe Freunde in Santa Maria im „Cabra Blanca“ von Klaus. Trinke Kaffee in Selva bei Luca aus Napoli im „Sa Duana“. Genieße im besonderen mallorquinischen „Ca Na To Ne Ta“ der Schwestern Maria und Teresa Solivellas in Caimari das saisonale Menü oder esse Tapas bei Ima in Alaró.
Oder ich tauche ein – in die Stille, die Kunst, das Meer. Ich liebe das Licht und die Stärke dieser Insel. Wer meint, sich hier nur ausruhen zu können, wird staunen. Mallorca ist kein Ort für Stand-by. Es ist ein Ort der Wandlung und auch der Arbeit. Wie anders sollte man sich ansonsten das hier alles auch noch leisten können?
Auswandern nach Mallorca: Längst keine Insel mehr für Träumer
Und dann sitze ich abends auf der Terrasse von unserem Horno de Cal. Küsse den Mann, streichle den Hund. Füttere die Katze. Schaue in die Tramuntana und höre die Schafe. Und weiß: Ich bin genau richtig hier. Auch wenn alles anders ist als damals. Auch wenn ich manchmal erschrecke, wie laut, teuer, überhitzt es geworden ist. Hier auf Mallorca trifft sich gerade die Welt von Obama bis Taylor Swift. Das ist wirklich „schrecklich“ bis „schön“, denn damit steht die Insel im Rampenlicht und wird für alle noch sichtbarer, als sie es eh schon ist.
Mallorca ist längst keine Insel mehr für Träumer. Man muss sich mitwandeln. Im Wissen, wie es war. Im Vertrauen, dass es Menschen gibt – Mallorquiner, Deutsche, Argentinier, Katalanen, Franzosen, Schweizer – die Mallorca bewahren wollen. Ein Stück davon. Für sich. Für andere. Für später.