„Beim Online-Dating gibt es zu viel Ego“


Frau Tosun, Sie sind aktuell selbst Single und wollen beim Dating zurück ins Analoge. Warum?
Ich hatte es tatsächlich geschafft, die genutzte Dating-Plattform komplett durchzuspielen. Die App fragte mich: Willst du nicht etwas an deinem Filter machen und den Radius erweitern? Aber mein Radius war schon großzügig genug. Durch Social Media kam schließlich die Inspiration. Dort sah ich Videos von Freunden, wie sie sich mithilfe einer Präsentation gegenseitig ihre Reiseziele vorstellten. Und ich dachte: Könnte man das nicht irgendwie mit Dating verbinden? Da ging es los und der Rest ist Geschichte.
Das war die Geburtsstunde Ihres Dating-Events „Kennt ihr schon...?”.
Ja, wir hatten im Oktober 2024 unser erstes Event in Köln. Das war eine so kleine Runde, dass ich nicht damit gerechnet habe, dass es überhaupt ein zweites Mal gibt. Die erfolgreiche zweite Edition war der Auslöser für das, was wir heute bei „Kennt Ihr schon...?” machen. Mittlerweile sind wir in elf Städten vertreten und werden bald erste europäische Länder anvisieren. Das ist einfach unglaublich, wie sich das unter einem Jahr so entwickelt hat.
Was erwartet die Teilnehmenden bei Ihrer Veranstaltung?
Bei unserem Event werden Singles von ihren Freunden auf der Bühne vorgestellt. Jede Präsentation – ein sogenannter Pitch – beginnt mit den Worten „Kennt ihr schon…?“. Danach haben die Freunde fünf Minuten Zeit, ihre Liebsten ins beste Licht zu rücken. Das kann sowohl ein klassischer Vortrag als auch eine kreative oder überraschende Performance sein. Das liegt ganz am Freundeskreis.
Wie viele Menschen nehmen im Schnitt an „Kennt ihr schon…?“ teil?
In Köln sind wir mit 250 Leuten ausverkauft – und das an einem Montag! Auch in den anderen Städten ist unser Event mit maximal 150 Personen ausverkauft. Damit bringen wir Leute zusammen, die sich sonst nicht getroffen hätten. Selbst wenn die Teilnehmenden am Ende des Tages keine große Liebe gefunden haben, sind dadurch inspirierende Bekanntschaften und Freundschaften entstanden. Das berührt mich tatsächlich am meisten.
Entdecken die Teilnehmenden die analoge Dating-Welt damit neu?
Wir möchten mit der Veranstaltung zeigen, dass Dating nicht verkrampft sein muss. Ich habe den Eindruck, dass wir verlernt haben, aufeinander zuzugehen, jemanden anzusprechen oder Komplimente zu machen. Genau das soll mit diesen Events geschaffen werden: Wir haben einen Safe Space und wir wissen alle, warum wir hier sind. Dadurch ist es einfacher, das Ansprechen wieder zu erlernen.
Im Mittelpunkt Ihrer Veranstaltung stehen die Pitches, bei denen Singles von ihrem Freundeskreis vorgestellt werden. Präsentieren Männer anders als Frauen?
Männer sind tatsächlich oft ein bisschen kreativer, weil sie das Thema mit einer gewissen Leichtigkeit und einem spielerischen Blick angehen. Aber sowohl bei den Präsentationen der Frauen als auch der Männer steckt so viel Liebe dahinter. Jeder Pitch zeigt auf seine eigene Weise eine unglaubliche Kreativität und Wertschätzung.
“Das Schönste ist, dass Selbstdarstellung verboten ist
Haben Sie einen Tipp für alle, die sich selbst gerne an einen Pitch wagen wollen?
Das Schönste am Pitch-Format ist wohl, dass Selbstdarstellung dabei verboten ist. Es geht nicht darum, sich gegenseitig zu roasten, sondern seinem Single-Freund auf eine charmante Weise zu verhelfen, jemanden Neues kennenzulernen. Man sollte mit einer Prise Humor und Authentizität auf die Bühne gehen und das ganze Thema entspannt angehen.
Das Allerwichtigste ist aber, ehrlich zu sein. Denn genau das ist der Unterschied zu den Dating-Apps. Zeig mir auf der Bühne nicht das perfekt bearbeitete Foto mit 30 Filtern, sondern bring lieber ein authentisches Kinderfoto mit. Oder erzähl mir die Story, dass ihr euch aus dem Kindergarten kennt, weil du ihm seinen Teddy geklaut hast. Solche Geschichten kommen bei den Leuten an. Denn Menschen lieben es, Geschichten zu hören. Und wer kann die besser erzählen als das eigene soziales Umfeld?
Weiß der eigene Freundeskreis besser als man selbst, wer zu einem passt?
Es ist wohl eine Kombination aus beidem. Das eigene soziale Umfeld betrachtet uns mit einer anderen Brille und stellt uns deshalb auf eine ganz andere Weise vor. So können Freunde gerade bei der Entscheidungsfindung und Beratung helfen. Ich muss mich aber auch selbst wohlfühlen. Das heißt: am Ende des Tages entscheiden die Ausstrahlung meines Gegenübers und das Bauchgefühl.
Den ersten Schritt übernehmen aber die Freunde mit ihren Präsentationen. Wie reagieren die Singles darauf?
Im Idealfall sehen die Singles die Präsentation an diesem Abend, wie wir, zum ersten Mal. Das sind dann so berührende Momente, wenn wir die Begeisterung, die Freude oder die Tränen in ihren Augen sehen können.
Haben Sie einen persönlichen Lieblings-Pitch, den Sie miterleben konnten?
Tatsächlich haben jede Stadt und jede Präsentation ihren eigenen Charme. Einmal wurde ein Gedicht aufgesagt, das habe ich sehr gefeiert. Diese grenzenlose Kreativität ist genau das, was wir am Ende des Tages möchten. Es braucht aber natürlich nicht die kreativste Präsentation des Lebens. Bei uns gibt es dafür nur drei Vorgaben: Bühne, Zeit und ein Mikrofon. Macht, was ihr möchtet! Unabhängig vom Pitch bin ich davon begeistert, dass die Leute sich auf das Dating-Format einlassen und einfach Lust darauf haben.
Wurden Sie von Ihren Freunden selbst bereits bei einer Ihrer Veranstaltungen gepitcht?
Ja, in meiner Heimatstadt Köln werde ich gepitcht, weil ich im Idealfall dort jemanden kennenlernen möchte. Anfangs hole ich die Teilnehmenden zur Geschichte ab und am Ende schließt sich der Kreis mit meinem eigenen Pitch. Genau dieser rote Faden macht die Veranstaltung so authentisch und nahbar. Auch unsere Gastgeberin in München, die selbst Single ist, lässt sich pitchen.
Mit Erfolg? Hatten Sie deshalb schon Dates?
Tatsächlich ja. Nicht so viele, wie es bei den anderen der Fall ist. Da ist einfach eine gewisse Zurückhaltung, weil ich die Veranstalterin bin. Aber es haben sich schon sehr schöne Begegnungen ergeben. Nur bin ich jetzt ironischerweise immer noch Single, weil ich mittlerweile in der Event-Reihe so verkopft bin, dass ich meinen kompletten Fokus darauf richte.
“Ich wollte eine andere Art von Kennenlerngeschichte
Auf Plattformen für Online-Dating sieht man Sie dagegen überhaupt nicht mehr. Wieso?
Weil ich auf der Suche nach meinem Mr. Right des Online-Datings müde geworden bin und eine andere Art von Kennenlerngeschichte haben wollte. Klar, Online-Dating hat den Vorteil, dass im Idealfall dort Gleichgesinnte auf der Suche sind – sei es nach einer Beziehung oder Freundschaft Plus. Im Idealfall weiß man also, worauf man sich einlässt.
Viele schimpfen aber auf die Oberflächlichkeit beim Online-Dating.
Ich glaube auch, dass wir beim Online-Dating zu oberflächlich sind. Mal angenommen, da wäre deine Mrs. Right: aber nur, weil sie ein falsches Profilbild hat, wird sie weggewischt. Heutzutage findet alles am Smartphone statt, egal ob Freundschaft oder die Arbeit. Auch in meinem Freundeskreis habe ich manchmal das Gefühl, dass man analoges Dating gar nicht mehr auf dem Schirm hat. Dabei ist auf den Dating- Plattformen viel zu viel Ego und das Digitale immer dazwischen. Diese Oberflächlichkeit hat mir schließlich einen Weckruf gegeben.
Im Herbst feiert Ihre Veranstaltungsreihe den ersten Geburtstag. Wie hat sich in diesem Jahr Ihr Blick auf die Liebe gewandelt? Was haben Sie dazugelernt?
Meine Sicht auf die Liebe hat sich insofern geändert, dass sie nicht so sein muss, wie es Filme und Bücher uns suggerieren. Du brauchst keine bessere Hälfte, um eine vollkommene Persönlichkeit zu sein. Du bist es! Deshalb habe bloß keinen Zweifel daran, jemanden kennenzulernen!
Durch die Veranstaltungen habe ich vor allem eines gelernt: Du bist deines Glückes Schmied. Wenn Online-Dating frustriert, muss man in sein eigenes Glück tief eingreifen, indem man mit einer Offenheit und Herzlichkeit in die Welt geht. Denn der oder die Richtige steht nicht eines Abends bei einem im Wohnzimmer und sagt: Hey Babe, what's going on? Ob man will oder nicht: man muss raus aus seiner Komfortzone und was dafür machen!