Hart am Wind: Testfahrt im Mercedes Purespeed
Bei circa 60 km/h liegt die Grenze. Bis zu dieser Geschwindigkeit kann ich meine Augen gerade so noch offen halten. Zumindest wenn ich meine Sonnenbrille als Schutz trage. Aber schon ein paar km/h schneller, und der Fahrtwind bläst mir so extrem ins Gesicht, dass ich vor lauter Zwinkern und Tränen die Fahrbahn kaum mehr erkennen kann. Wer schneller in einem PureSpeed – einem Wagen ohne Windschutzscheibe und Dach – unterwegs sein will, muss einen Helm tragen. Das ist die erste Erkenntnis, die ich nach knapp fünf Minuten hinter dem Steuer des auf 250 Stück limitierten Sondermodells von Mercedes gewinne.
Im Mercedes Purespeed unterwegs auf der größten Oldtimer-Rallye Italiens
Die Chance, ein solches Fahrzeug in freier Wildbahn zu erleben, geschweige denn selbst zu fahren, geht normalerweise gegen null. Selbst als Journalist. Schon bei der ersten offiziellen Ankündigung des Herstellers steht in der Regel fest, in welchen Sammlergaragen das Fahrzeug am Ende für immer verschwinden wird. Kein Wunder bei einem Preis von 922.000 Euro. Als ich also ein entsprechendes Angebot von Mercedes bekam, sagte ich sofort zu. Der Deal: Ich sollte den Wagen auf der letzten Etappe der Mille Miglia, der größten Oldtimer-Rallye Italiens, von Parma nach Brescia fahren. Warum man ein neues Fahrzeug auf einer Oldtimer-Rallye präsentiert, dazu komme ich noch.
Testfahrt im Mercedes Purespeed: Sondermodell mit Historie
Da stellt sich natürlich die Frage: Warum baut Mercedes ein so spezielles Fahrzeug, wenn sich gleichzeitig die fahrdynamischen Eigenschaften dadurch nicht verbessern? Das hat vor allem historische Gründe. In der Geschichte des Motorsports, insbesondere in den 1950er-Jahren, gab es mit dem Ferrari 750 Monza, dem Jaguar C-Type oder dem Porsche 550 Spyder eine ganze Reihe berühmter Rennwagen, die aus aerodynamischen Gründen auf Dach und Windschutzscheibe verzichteten. Allen voran der Mercedes 300 SLR, mit dem Stirling Moss im Jahr 1955 die Mille Miglia – die damals noch ein richtiges Rennen auf Zeit war – gewann.
Testfahrt im Mercedes Purespeed: Wie im Auge eines Hurrikans
Wie anfangs beschrieben, versuche ich, die ersten Meter durch die Stadt ohne Helm zu fahren, spätestens auf der Landstraße aber kapituliere ich und setze ihn auf. Abgesehen vom Bereich um den Kopf, halten sich die Luftverwirbelungen innerhalb der Fahrzeugkabine jedoch in Grenzen. Man sitzt im PureSpeed wie im Auge eines Hurrikans. Dieser Effekt wird durch ein paar kleine transparente Windabweiser erzeugt, die an der Stelle sitzen, wo sich sonst die Windschutzscheibe befindet. Auffällig ist außerdem der sogenannte Halo-Bügel, der sich in der Mitte des Fahrzeugs über die Fahrerkabine spannt. Das System wurde aus der Formel 1 abgeleitet und sorgt dafür, dass die Insassen trotz fehlender A-Säule im Falle eines Überschlags gesichert sind.
Der Wagen wird übrigens ausgeliefert mit zwei eigenen, in Wagenfarbe lackierten Helmen mit integriertem Kommunikationssystem sowie mit einer Persenning, mit der man den Wagen beim Parken im Freien vor Regen schützen kann. Abgesehen davon basiert das Fahrzeug auf dem aktuellen Mercedes-AMG SL 63 4MATIC – das heißt, sowohl die Motorleistung mit 585 PS als auch der TopSpeed (315 km/h) und die Beschleunigung (3,6 Sekunden auf 100 km/h) entsprechen dem AMG-Cabrio.
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