Zwölf Zylinder sollt ihr sein: Der neue Ferrari 12Cilindri im Test

Alte Schule: Genau wie bei seinem legendären Vorbild, dem 365 GTB/4 Daytona, wummert unter der lang gezogenen Motorhaube des Ferrari 12Cilindri ein klassischer V12-Motor
Credit: Ferrari
Alte Schule: Genau wie bei seinem legendären Vorbild, dem 365 GTB/4 Daytona, wummert unter der lang gezogenen Motorhaube des Ferrari 12Cilindri ein klassischer V12-Motor
Credit: Ferrari

Vergessen Sie Elektroautos, Hybridantriebe oder Turbolader – mit dem 12Cilindri zeigt Ferrari, wie Fahrspaß mit reinrassigem superstarkem Saugmotor aussieht. Playboy ist den Anachronismus auf Rädern in Luxemburg Probe gefahren.

Von: Michael Brunnbauer
30.06.25
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Die Nomenklatur des italienischen Sportwagenherstellers aus Maranello war für mich schon immer ein Buch mit sieben Siegeln. Während einige Ferraris klassische Kombinationen aus Buchstaben und Zahlen im Namen tragen wie aktuell die beiden Hybridfahrzeuge 296 GTB oder der SF90, werden andere Modelle nach Orten wie Roma, California oder Portofino benannt, und wieder andere erhalten emotionalisierende Begriffe wie Testarossa (italienisch für roter Kopf) oder Purosangue (italienisch für reines Blut). Ein System dahinter lässt sich nur schwer erkennen.

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Ferrari 12Cilindri: Keine Hybridisierung und kein Elektro-Boost

Zumindest aber über die Fahrzeugbezeichnung von Ferraris neuestem Sportwagen kann man sagen: Der Name ist Programm. Denn 12Cilindri (ausgesprochen Doditschi Tschilindri), so der Name des Gran Turismo aus Italien, bedeutet schlichtweg zwölf Zylinder. Und genau das ist er zur Freude vieler eingefleischter Ferrari-Fans auch: ein Zwölfzylinder, und zwar in seiner puristischsten Form.

Beim 12Cilindri gibt es keine Hybridisierung, keinen Elektro-Boost, kein 48-Volt-Bordnetz oder sonst eine Form der Elektrifizierung. Nicht einmal eine Turboaufladung hat der reinrassige Saugmotor. Und während alle anderen Marken ihre Brennräume reduzieren, bleibt Ferrari sich treu und liefert seinen neuen PS-Boliden weiterhin mit einer gigantischen 6,5-Liter-Maschine aus, die allerdings im Vergleich zum Vorgängermodell, dem 812 Superfast, mit 830 PS Leistung noch einmal 30 PS mehr herausholt.

Abgesehen von ein paar limitierten Sondermodellen, besitzt der 12Cilindri damit den stärksten Serienmotor, der jemals in Maranello gebaut wurde. Fans der Marke kennen die Maschine bereits aus dem 812 Competizione, nur dass sie aufgrund der schärferen Abgasregelungen noch einmal überarbeitet wurde. Jetzt schlagen im Inneren 40 Prozent leichtere Kolben aus einer speziellen Aluminiumlegierung sowie Pleuel aus Titan, die den Motor bis zu 9500 Umdrehungen pro Minute bewegen können.

Ferrari 12Cilindri: Auto oder Raumschiff?

Doch der größte Unterschied zum Vorgänger ist vielleicht nicht der Motor, sondern das Design. Als ich zum ersten Mal die extrem lang gezogene Haube und den breiten Visor, der sowohl das Frontlogo als auch die Scheinwerfer integriert, vor dem Eingang des Schlosshotels „Château d’Urspelt“ in Luxemburg sehe, muss ich schlucken. Ist das überhaupt ein Auto oder vielleicht doch eher ein Raumschiff? Chefdesigner Flavio Manzoni ließ sich anscheinend vom legendären Ferrari 365 GTB/4 Daytona aus den 1960er-Jahren und dem Space Age der 1970er-Jahre inspirieren.

Drehfreudig: Die Kombination aus Frontmotor und Heckantrieb bei einer Gewichtsverteilung von 48 : 52 sorgt dafür, dass der Ferrari 12Cilindri auch in engen Kurven gut kontrollierbar bleibt
Credit: Ferrari

Doch der monolithische Retro-Entwurf ist nicht nur eine optische Spielerei, sondern hat durchaus auch funktionale Gründe: Insgesamt sieben Öffnungen an der Frontpartie des Autos sorgen für eine fachgerechte Luftaufnahme des frei atmenden Saugers. Ein weiteres sehr charakteristisches Element bildet die Heckscheibe, die von einem deltaförmigen, in der gleichen Farbe wie das Fahrzeug lackierten Bogen umspannt wird. Egal, ob einem das nun gefällt oder nicht, die Optik des neuen 12Cilindri polarisiert.

Im Kontrast dazu wirkt das Interieur des Wagens fast schon langweilig. Drei große Displays, eines für den Fahrer, eines für den Beifahrer und eines in der Mittelkonsole, eingefasst in die für diese Art von Fahrzeugen übliche Mischung aus Sichtcarbon und Alcantara, dominieren den Look des Innenraums. Anstatt einer Starttaste gibt es nur noch eine Touchfläche am Lenkrad, mithilfe derer man die zwölf Zylinder unter der Motorhaube zum Leben erwecken kann.

Reduziert und modern: Statt einer Starttaste findet man im Inneren des Ferrari 12Cilindri eine Touchfläche am Lenkrad
Credit: Ferrari

Ganz ohne Retro-Elemente ging es dann aber doch nicht: Die kleinen Stahlschalter in der Mittelkonsole, mit denen man den Rückwärtsgang einlegt oder zwischen manuellem und automatischem Schaltmodus wechseln kann, zitieren optisch eine erweiterte H-Schaltung mit fünf Gängen. Und natürlich blieb auch der für Ferrari übliche Manettino erhalten: ein haptischer Drehschalter am Lenkrad, mithilfe dessen man die unterschiedlichen Fahrmodi einstellen kann.

Ferrari 12Cilindri: Die schönste Sinfonie auf Erden

Ich drehe den Schalter auf „Sport“ und fahre für einen Ferrari überraschend ruhig vom Hof. Im unteren Drehzahlband hält sich die Geräuschkulisse des Italieners offenbar noch in Grenzen. Doch schon ein paar Straßenzüge weiter, sobald ich die mittleren und hohen Drehzahlen erreiche, entfaltet sich das vollständige Stakkato der zwölf Töpfe im Inneren des Motors. Der berühmte Dirigent Herbert von Karajan soll mal auf die Frage, welche Sinfonie für ihn die schönste sei, geantwortet haben: „Die eines Ferrari V12.“ Ich kann ihn gut verstehen. Das Surren und Knattern, wenn man das obere Ende der 9500 Umdrehungen erreicht, ist einfach atemberaubend. Und lässt meilenweit sämtliche anderen Verkehrsteilnehmer die Köpfe nach mir umdrehen. Vor allem, wenn ich mich versehentlich verschalte und der Motor plötzlich laut aufheult.

Anders als bei den meisten anderen Sportwagen montiert Ferrari nämlich die Paddles zum Schalten des 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebes an der Lenksäule und nicht am Lenkrad. Das bedeutet, sie drehen sich nicht beim Lenken mit. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Genauso wie ans Blinken. Anstatt eines Schalthebels blinkt man bei Ferrari mithilfe zweier Knöpfe, die sich direkt auf dem Lenkrad befinden. Wie sinnvoll das ist, ist letztendlich – wie auch bei den Paddles – weniger eine Gewohnheits-, sondern vielmehr eine Philosophiefrage.

Ebenfalls einen anderen Weg geht Ferrari bei der Aerodynamik: Anstelle eines Heckflügels gibt es sogenannte Flaps. Das sind kleine Klappen, die sich hinten links und rechts über den Rückleuchten befinden und ab 60 km/h automatisch öffnen. Abhängig von der Geschwindigkeit und Fahrsituation, stellen sie sich im optimalen Winkel auf, um entweder den Anpressdruck zu erhöhen oder im Falle einer Vollbremsung den Bremsprozess zu verstärken. Erst bei Geschwindigkeiten über 300 km/h klappen sie wieder ein, um den Luftwiderstand zu reduzieren.

Unter drei: Bei aktivierter Launch Control lässt sich der Ferrari 12Cilindri innerhalb von 2,9 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen. Wobei kleine Flaps über den Heckleuchten den Anpressdruck verbessern
Credit: Ferrari

Da solche Geschwindigkeiten auf den Landstraßen Luxemburgs nur schwer zu erreichen sind (es gilt ein Tempolimit von 90 km/h), machen wir einen kleinen Boxenstopp in der nahe gelegenen Ortschaft Colmar-Berg. Hier befindet sich der Circuit Goodyear – eine Rennstrecke, auf dem der gleichnamige Reifenhersteller seine neuesten Produkte testet. Der Begriff Rennstrecke ist vielleicht etwas zu enthusiastisch gewählt, letztendlich besteht die Strecke aus ein paar wenigen Kurven und einer langen Geraden. Schon bei der zweiten Runde knacke ich die 250 km/h, bei der dritten und vierten liege ich über 280 km/h. Bei der letzten Runde taste ich mich gefährlich nah an die 300 heran – dann geht mir irgendwann der Asphalt aus. Rein theoretisch wären sogar 340 km/h möglich. Vielleicht ein anderes Mal.

Fazit zum Ferrari 12Cilindri: Ein fahrender Anchronismus

Letztendlich bleibt festzuhalten: Im Zeitalter von Elektro-, Hybrid- und Turbomodellen ist der 12Cilindri so etwas wie ein fahrender Anachronismus. Ein frei saugender Zwölfzylinder, das kann sich nur noch die Marke mit dem aufbäumenden Pferd im Logo leisten. Leider zu einem Preis, den sich wiederum die wenigsten Kunden leisten können: Mindestens 382.000 Euro muss man für das Coupé hinlegen. Also in etwa 32.000 Euro pro Zylinder. Aber die Investition lohnt sich.

Ferrari 12Cilindri (Coupé)

Geschwindigkeit: 340 km/h
Leistung: 830 PS
Drehmoment: 678 NM
0–100 km/h: 2,9 sekunden
Hubraum: 6496 ccM
Gewicht (trocken): 1560 KG
Preis: 382.000 Euro

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