Wie ein wilder Stier: Unterwegs im Ford Raptor T1+
Ungefähr so, stelle ich mir vor, muss es sich wohl anfühlen, wenn man als Rodeoreiter auf einem wilden Stier hockt. Nur dass dieser Stier über zwei Tonnen schwer ist, von einem 5-Liter-V8-Coyote-Motor angetrieben wird und gerade mit 170 km/h durch den südafrikanischen Busch jagt. Der Untergrund, auf dem wir fahren, besteht aus Schotter, Sand, Erde, ein paar Ästen sowie einigen basketballgroßen Steinen. Obwohl ich mit einem 6-Punkt-Sicherheitsgurt fest an den Beifahrersitz des Raptor T1+ geschnallt bin, muss ich mich mit Armen und Beinen so fest wie möglich im Cockpit verkeilen, um nicht jede Sekunde heftig hin- und hergeworfen zu werden.
An der Seite einer Rallye-Legende unterwegs im Ford Raptor T1+
Bereits ein paar Minuten zuvor hätte ich bereits misstrauisch werden sollen, als mich der Mann am Steuer mit den Worten begrüßte: „Hi, ich bin Carlos, hast du schon mal in einem Rallye-Auto gesessen?“ Der zweifache Rallye-Weltmeister und vierfache Dakar-Sieger Carlos Sainz Sr. gilt als eine der Koryphäen des Rallye-Sports.
Ich treffe den 63-jährigen Spanier einen Tag vor dem offiziellen Start der South African Safari Rallye beim sogenannten Shakedown. Dabei testen die Fahrer kurz vor dem Rennen ihr Fahrzeug noch einmal auf Herz und Nieren und nehmen die letzten Abstimmungen an Motor, Getriebe, Bremsen und Federung vor. Oder drehen, wenn sie nett gefragt werden, mit dem Motor-Chef vom Playboy eine kleine Ehrenrunde. Und eine Ehre ist es im wahrsten Sinne des Wortes. Mit einem Rallye-Fahrer wie Carlos Sainz Sr. in einem knapp eine Million Euro teuren Rallye-Wagen mitzufahren: Diese Gelegenheit bietet sich selten bis gar nicht. Normalerweise darf nur Lucas Cruz, der offizielle Beifahrer und Navigator, neben Carlos Sainz Sr. im Raptor Platz nehmen.
Unsere Teststrecke befindet sich circa 30 Kilometer von der südafrikanischen Stadt Sun City entfernt, wo dieses Jahr zum ersten Mal in der Geschichte der World Rally-Raid Championship (kurz W2RC) besagte South African Safari Rallye stattfindet. Die W2RC ist die extremere Schwester der normalen Rallye-Weltmeisterschaft, die im Gegensatz zu ihr nicht auf Asphalt- oder Schotterstraßen ausgetragen wird, sondern auf völlig unerschlossenen Offroad-Strecken.
Das bekannteste Rennen der fünfteiligen Serie ist sicherlich die berühmt-berüchtigte Rallye Dakar (früher auch als Paris–Dakar bekannt), weitere vier Rennen werden in Abu Dhabi, Portugal, Marokko und seit diesem Jahr in Südafrika ausgetragen. „Die Südafrika-Rallye ist nicht so hart wie Dakar, geht aber trotzdem über fünf Tage. Bei einigen Etappen sitze ich drei bis vier Stunden am Stück hinterm Steuer“, sagt mir Carlos. „Da muss man immer fokussiert sein, denn Fehler passieren schnell. So lange das Tempo zu halten, immer mit Vollgas, das ist nicht einfach.“ Wer am Ende die beste Zeit erreicht, gewinnt. Wobei einige Teilnehmer das Ziel gar nicht erreichen. Unfälle gehören zu einer solchen Veranstaltung wie der Sand zur Wüste.
Unterwegs im Ford Raptor T1+: Driften im Dickicht
Ein Fahrzeug, das eine solche Dauerbelastung aushalten kann, braucht nicht nur einen robusten Motor, sondern vor allem ein unverwüstliches Chassis und Fahrwerk. Der Raptor T1+ besteht aus einer Stahl-Spaceframe-Konstruktion mit Karosserieteilen aus Kohlefaser. Die Einzelradaufhängung mit Doppelquerlenkern wurde von Ford zusammen mit den Dämpfer-Spezialisten der Firma Fox eigens für das Fahrzeug entwickelt, der immense Federweg der Aufhängung liegt bei satten 350 Millimetern. Zusammen mit den 37 Zoll (94 Zentimeter) großen Reifen bügelt man selbst größere Brocken fast automatisch weg. Den Rest erledigt Carlos. „Ein guter Fahrer mit einem schlechten Auto – das geht gar nicht. Aber ein gutes Auto mit einem schlechten Fahrer funktioniert genauso wenig. Gerade im offenen Gelände ist der Fahrer wahrscheinlich sogar einen Tick wichtiger als das Auto“, sagt er.
Während Carlos mit mir spricht, wirbelt er mal blitzartig konzentriert, mal lässig entspannt das Lenkrad hin und her. Trotz der enormen Fliehkräfte, die auf uns wirken, nimmt er zwischendurch die rechte Hand immer wieder vom Lenkrad, um mit dem Schalter fürs sequenzielle Getriebe den nächsten Gang einzulegen oder mit der fast einen Meter langen Rallye-Bremse daneben ein elegantes Driftmanöver einzuleiten. Was sehr häufig vorkommt, letztendlich fahren wir am Ende mehr quer als geradeaus.
Mit atemberaubender Präzision dirigiert er das Fahrzeug durch das vor uns liegende Dickicht und driftet an sämtlichen Büschen, Bäumen und Felsbrocken vorbei – oft mit nur wenigen Millimetern Abstand. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 140 bis 150 km/h wohlgemerkt. Mehr wäre zwar rein theoretisch laut Carlos möglich, aber nicht erlaubt. Das Reglement schreibt aus Sicherheitsgründen die maximale Geschwindigkeit von 170 km/h vor. Worüber ich in diesem Moment sehr dankbar bin.
Als ich am Ende unserer Tour schweißgebadet aus dem Wagen steige, will ich von Carlos wissen, wie sehr dieses Erlebnis einer echten Rallye-Fahrt nahekommt. „Das war ein Abschnitt, den ich schon ein paar Mal gefahren bin, ich wusste daher genau, wie ich die Kurven nehmen muss. Das wird beim Rennen morgen anders sein.“ Teil der Herausforderung ist es nämlich, dass kein Fahrer die exakte Strecke vorher kennt.
Ich verabschiede mich und sehe ihn erst am nächsten Tag zum Rennen wieder. Als er an der Reihe ist (bei einer solchen Rallye starten die Fahrzeuge im Abstand von jeweils einer Minute), gibt er schnell Gas und zieht mit einer riesigen Staubwolke hinter sich an mir vorbei, um nur wenige Sekunden später aus meinem Sichtfeld zu verschwinden. Den Rest des Rennens muss ich auf einem Fernsehbildschirm verfolgen – ein Nachteil der weitläufigen und für Zuschauer unzugänglichen Rallye-Strecken.
Carlos verpasst am Ende als Vierter in der W2RC-Wertung knapp das Podium. Trotzdem eine respektable Leistung für einen 63-Jährigen, denke ich mir, und viel besser als sein Dakar-Ergebnis Anfang des Jahres. Dort musste er nach einem Überschlag die Rallye vorzeitig beenden. Trotzdem würde ich jederzeit wieder zu ihm ins Auto steigen. Auf einem wilden Stier reiten kann schließlich jeder.
Ford Raptor T1+
Geschwindigkeit: 170 km/h
Leistung: 360 PS
Drehmoment: 540 NM
0–100 km/h: 3,6 Sekunden
Hubraum: 5038 ccM
Gewicht (DIN): >2010 KG
Preis: Unter 1 Mio. Euro