5AM Club: Wie sinnvoll sind die viralen Morgenroutinen wirklich?


Wann sind Sie das zuletzt um 5 Uhr morgens aufgestanden? Und zwar nicht, weil ein Baby gebrüllt hat oder Sie einen Billigflug mit absurder Flugzeit erwischen wollten, sondern nur einfach nur so. Ich kann mich nicht erinnern. Wenn ich ehrlich bin, war ich wohl öfter noch wach, als dass ich jemals um diese Uhrzeit aufgestanden wäre.
Scrollt man allerdings gerade durch die sozialen Medien, könnte man meinen, ich sei ein absoluter Exot. Dort sieht man Menschen, die im Morgengrauen durch die Stadt laufen, Lebensziele in ihre Journals notieren und völlig in sich gekehrt auf Yogamatten meditieren – und das alles noch bevor die Sonne aufgeht.
Wie sinnvoll sind Morgenroutinen? Frühaufstehen im 5 AM Club
Das kann man unverständlich finden. Wer aber tatsächlich schon mal um fünf Uhr morgens aufgestanden ist – oder alternativ gerade von der Party nach Hause gestolpert kam – weiß: Diese Stunde hat was. Es ist still. Die Welt schläft noch. Kein Handy bimmelt, kein Kollege will was, keine Mails schreien nach Aufmerksamkeit. Die To-dos des Tages sind noch in weiter Ferne und selbst die Sonne ruht noch irgendwo in der dunklen und düsteren Nacht.
Es ist eine Zeit, die einem ganz allein gehört. Ein kleines Fenster der Selbstbestimmung, bevor der Alltag beginnt. Und wer die Zeit nutzt – zum Schreiben, sporteln oder meditieren – hat vielleicht wirklich das Gefühl, dem Tag mit einem Frühstart davonzulaufen.
Der Trend ist übrigens alles andere als neu. Schon 2018 trug der Autor Robin Sharma mit dem Buch „The 5 AM Club: Own Your Morning. Elevate Your Life“ sein Konzept des achtsamen Frühaufstehens hinaus in die Welt. Und nein: Der 5 AM Club ist kein Afterhour-Tanzschuppen, der seine Türen öffnet, wenn sonst schon alles geschlossen ist. Er ist genau das, was man heutzutage in jedem Instagram-Feed findet: Menschen die täglich um 5 Uhr morgens aufstehen, um die frühe Stunde für persönliche Weiterentwicklung, Sport oder Planung zu nutzen.
5AM Club: Sind die viralen Morgenroutinen für jeden geeignet?
Morgenroutinen sind grundsätzlich etwas Gutes, meint Professor Christian Benedict, der seit 2009 in Schweden zum Thema Schlaf forscht und Bücher zu diesem Thema veröffentlicht hat: „Regelmäßigkeit schafft nicht nur Klarheit im Denken, sondern hilft auch Körper, Geist und Seele, sich am natürlichen 24-Stunden-Rhythmus zu orientieren.“ Problematisch werde es aber wenn das frühe Aufstehen im Widerspruch zur individuellen Chronobiologie steht.

Menschen lassen sich nämlich in verschiedene Chronotypen einteilen. Unsere innere biologische Uhr beeinflusst, zu welchen Tageszeiten wir besonders leistungsfähig sind – und diese Zeiten unterscheiden sich von Person zu Person.
Es gibt:
den Morgentyp, auch „Lerche“ genannt: Menschen, die frühmorgens bereits hellwach sind und schon gegen 21 Uhr kaum die Augen offen halten können.
den Abendtyp, auch „Eule“ genannt: Menschen, die sich morgens aus dem Bett quälen und ihr geistiges und sportliches Hoch am Abend haben.
den Misch-Typen: Diese Menschen werden weder extrem früh noch besonders spät wach und haben ihr geistig-sportliches Hoch am späten Vormittag und ein Tief am frühen Nachmittag
Frühaufstehen im 5AM Club: Eule oder Lerche?
Das ist für viele auch der Haken an der ganzen Geschichte: Um regelmäßig und mit vollem Tatendrang um 5 Uhr morgens aus dem Bett zu klettern, müssten die meisten von uns nach den Acht-Uhr-Nachrichten ins Bett. Das ist weder sexy noch sozialverträglich und auch aus Expertensicht nicht empfehlenswert: „In der Regel reicht eine frühere Schlafenszeit nicht aus, um den Schlafbedarf auszugleichen, wenn man um 5 Uhr aufsteht. Das liegt daran, dass das frühe Hinlegen oft nicht mit dem natürlichen Einschlaffenster des Körpers übereinstimmt.“
Nicht auf die Signale des eigenen Körpers zu hören, sei laut Experte nicht zu empfehlen. Wer dauerhaft zu wenig schlafe, riskiere typische kurzfristige Folgen wie Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Gereiztheit, Lustlosigkeit und eine höhere Infektanfälligkeit. „Langfristig wird’s ernst: Der Hüftumfang kann wachsen, der Blutzucker chronisch erhöht bleiben, das Gehirn an Leistungsfähigkeit einbüßen und Herz sowie Gefäße unter Dauerstress geraten“, sagt Professor Benedict.
5AM Club: Welche Morgenroutine empfiehlt der Schlafexperte?
Wie sieht also eine gesunde Morgenroutine aus Sicht eines Schlafforschers aus? „Wenn es möglich ist, sollte man sich die Flexibilität gönnen, auszuschlafen und ganz natürlich aufzuwachen. In der Regel wird man feststellen, dass der Körper sich an eine feste Aufwachzeit gewöhnt. Nach dem Aufwachen hilft es, sich dem natürlichen Licht auszusetzen, da es die Kortisol-Aufwach-Reaktion stimuliert und uns so energetisiert“, sagt Professor Benedict.
Außerdem: „In den ersten 30 Minuten des Morgens sollte man das Handy ruhig noch beiseite legen und sich lieber mit einer Zeitung oder etwas Radio hören entspannen. Eine kurze Yoga-Session kann ebenfalls ein wunderbarer Start in den Tag sein.“
Klingt alles so ähnlich wie bei den viralen Morgenroutinen. Achtsamkeit, Ruhe, Enstpannung. Nur bei der Aufstehzeit sollte man es nicht übertreiben. Morgenmenschen steht also nichts im Weg, den Tag in aller Herrgottsfrühe zu erobern. Wer um fünf Uhr schon voller Tatendrang ist – bitte sehr. Für alle anderen gilt: Auch sieben ist noch ziemlich heldenhaft.